ZukunftsMacher Buchtipp: „Tabu” von Raphael M. Bonelli
von ZukunftsMacher Helmut Scheel
Die Rede von JD Vance bei der Münchner Sicherheitskonferenz am 14. Februar 2025 war für den Neurowissenschaftler und habilitierten Psychiater Raphael M. Bonelli ein zentraler Impuls für sein Buch „Tabu“. Doch der Titel allein genügt nicht, um das eigentliche Thema anzusprechen, weshalb es des Untertitels bedarf: „Was wir nicht denken dürfen und warum“. Die Rede des stellvertretenden US-Präsidenten DJ Vance zieht sich wie ein roter Faden durch das gesamte Buch. So werden die politischen und journalistischen Reaktionen beleuchtet und in Bezug zu verschiedenen Tabus gesetzt. Der Autor kritisiert diese fast durchgehend. Nur an einer Stelle verwendet er, bezogen auf die Rede, das neutestamentliche Zitat: „Was siehst du aber den Splitter in deines Bruders Auge, und wirst nicht gewahr des Balkens in deinem Auge?“

Raphael M. Bonelli, Autor des Buches „Tabu“
Die Rede von DJ Vance
Sein Vorwort beginnt jedoch mit der Herkunft des Begriffs „Tabu“. Dieser stammt aus der Südsee und wurde von James Cook auf den Tonga-Inseln aufgegriffen. Dort bedeutet er „mehr als ein schlichtes Verbot.“ Ein Tabu bezeichnet etwas als unantastbar und heilig, sei es aus hygienischen, sozialen oder religiösen Gründen. Im ersten Kapitel, mit dem Titel „Der Fall der woken Mauer“, geht der Autor ausführlich auf die Vance-Rede ein. Anhand von Zitaten aus der Rede ergründet er, warum diese Rede eine derartige Resonanz in den Medien und in der politischen Landschaft erfahren hat. Vance brachte Themen zur Sprache, mit denen in München niemand gerechnet hatte. Er warf den Europäern vor, die Meinungsfreiheit zu verraten und unangenehme Aussagen zu zensieren. Damit brach Vance ein Tabu.
Im Verlauf des Buches durchleuchtet der Psychiater die verschiedenen Bedeutungen und Formen von Tabus. Er behandelt „archaische Tabus“, „sinnlose Tabus“ und „nützliche Tabus“ und geht dabei der Frage nach, wann Tabus hinterfragt werden müssen. Seiner Ansicht nach dienen Tabus immer „als Instrument der Herrschaft“.
Tabus, die keiner braucht
Im dritten Kapitel befasst er sich mit „Tabus, die keiner braucht“. Hier betrachtet er das „Migrations-Tabu“ sehr ausführlich, geht auf „das demografische Tabu“ ein, äußert sich zu „dem Gender-Tabu“, behandelt „das Klima-Tabu“, „das Abtreibungs-Tabu“ und gelangt schließlich zu „dem Corona-Tabu“ und „dem Gottes-Tabu“.
Das vierte Kapitel befasst sich mit der Manifestierung von Tabus. Immer wieder zeigt Bonelli an Beispielen auf, was und wie er seine Ausführungen verstanden haben will, was das Buch sehr verständlich macht. Ein Beispiel ist für ihn Boris Palmer von den Grünen, der „innerhalb der Grünen stark kritisiert“ wurde, „da er in mehreren Themenfeldern von der Parteilinie abwich“. An diesem und einigen anderen Beispielen zeigt der Autor auf, wie durch Verdrängung, Verschiebung, Verleugnung, Rationalisierung, Intellektualisierung und andere Formen Tabus innerhalb von Gruppen und Gesellschaften zementiert werden.
Ein offener Dialog als Heilmittel gegen falsche Tabus
Raphael M. Bonelli bleibt jedoch nicht bei der Identifizierung von Tabus stehen, sondern gibt im sechsten Kapitel Hilfestellungen, um „dysfunktionale Tabus zu identifizieren und mit ihnen umzugehen“. Ausgangspunkt ist dabei „der heilige Ursprung der funktionalen Tabus“. Er beschreibt noch einmal die Bedeutung von Tabus und ihren Wert für jede Gesellschaft und bezeichnet den „offenen Dialog“ als „Heilmittel gegen falsche Tabus“.
In dem Buch betont er immer wieder, dass es heute in unserer Gesellschaft mehr Tabus gibt als noch in den 60er Jahren. Zwar kann man heute ohne Probleme über Sexualität in der Öffentlichkeit reden und das Wort „Penis“ in den Mund nehmen, das N-Wort ist jedoch ein Tabu. Im letzten Kapitel möchte Bonelli zu einer Versöhnung jenseits der „Gesinnungsethik“ beitragen. Sein vorletzter Satz lautet daher: „Lasst uns unsere dysfunktionale Tabu-Gesellschaft in eine Gesellschaft verwandeln, in der die Würde des Menschen unantastbar ist.“ Diesen Satz würden wohl alle von uns unterschreiben.
Werteordnung neu denken
Aus meiner Sicht sind die knapp 200 Seiten eine gute Basis, um sich mit den Grundwerten unserer und der vergangenen Zeit auseinanderzusetzen. Bonellis Sichtweise regt dazu an, sich mit der eigenen zu beschäftigen. An manchen Stellen fiel es mir schwer, nicht laut zu widersprechen, während ich an anderen mit ihm konform ging. Es ist sicher Bonellis beruflicher Erfahrung zu verdanken, dass er einen inneren Dialog beim Leser provoziert und damit gedankliche Prozesse auslöst. Trotzdem ist das Buch aus meiner Sicht einseitig, da hauptsächlich unsere Gesellschaft in Europa kritisiert wird, während die US-amerikanische fast unbescholten davonkommt. Traditionelle Werte haben für den Autor einen höheren Stellenwert als modernere. Daher kann dieses Buch all jenen empfohlen werden, die die Werteordnung für sich und unsere Gesellschaft neu durchdenken möchten.
Buchtipp
Raphael M. Bonelli
Tabu | Was wir denken dürfen und warum
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Über den Autor
Raphael M. Bonelli, geboren 1968, ist Neurowissenschaftler und habilitierter Psychiater. Er arbeitet in der Wiener Innenstadt in eigener Praxis. Forschungsaufenthalte führten ihn an die Harvard University, die University of California Los Angeles (UCLA) die Duke University. Bonelli leitet das RPP-Institut und betreibt damit Social-Media-Kanäle mit insgesamt etwa 350. 000 Abonnenten.