Die Verkrempelung der Welt: Warum Produkte immer schlechter werden
Buchbesprechung von ZukunftsMacher Helmut Scheel
Gabriel Yoran hat ein erzählendes Sachbuch geschrieben, in dem er mit gefrustetem Humor eine Reihe von Erlebnissen beschreibt, die jedem von uns bekannt sind. Er beschreibt das Phänomen, dass viele neue Produkte in Wahrheit schlechter, komplizierter oder weniger haltbar sind als ihre Vorgänger.
Mich persönlich fasziniert noch immer der Titel „Die Verkrempelung der Welt“. Lange habe ich keinen besseren und passenderen Buchtitel entdeckt. Das Wort „Krempel” ist ein alter Begriff, der schon lange in der deutschen Sprache beheimatet ist. Er bezeichnet wertloses Zeug, Plunder oder lästigen Kram, zum Beispiel Fast Fashion, Einwegprodukte und Dinge, die man nicht (mehr) braucht. Deshalb zitiert der Autor den Philosophen Jean Baudrillard wörtlich als „leere Posse“. Baudrillard schrieb: „Alle Gegenstände sind bestrebt, funktionell zu sein, wie alle Regime sich als demokratisch ausgeben.“ Der Krempel, der uns heute oft angedreht wird, ist das Gegenteil.
Ob Duschköpfe, Kaffeevollautomaten oder Elektroherde: Der Autor beschreibt sinnentleerte Produkte, Blendwerk der Hersteller, die uns als Fortschritt verkauft werden. Dabei spielt Nachhaltigkeit eine untergeordnete Rolle – obwohl das Bedürfnis nach langlebigen, reparierbaren Produkten groß ist. In seinem Buch entwickelt Gabriel Yoran eine fundierte Kritik an unserer Konsumwelt: Bevor wir die Produkte verstehen, gehen sie kaputt. Fortschritt wird simuliert, weil Absatz generiert werden muss. Die Folgen: Allein in Europa produzieren wir jährlich 11.000 Tonnen Elektromüll.
Das Reich der Kunden ist eine Fata Morgana
Den Konsument*innen wird zudem vorgegaukelt, wir seien diejenigen, die vorgäben, in welche Richtung sich alles entwickeln würde. Was wir uns wünschen, wird auch produziert, genau im Sinne Baudrillards. Yoran spitzt dies auf wundervolle Weise zu: „Ja, der Kunde ist König, aber sein Reich ist eine Fata Morgana.“ Ein treffender Satz, denn wir sind gefragt. Wir haben die Herausforderung angenommen, denn im Buch steht: „Der Wettbewerb muss ausgetragen werden, und in bestimmten Produktkategorien verschiebt er sich in den Bereich der sozialen Funktion der Waren.“ Wir definieren unseren eigenen Stand und unser Image mit den Produkten, die wir stolz zeigen.
Kaufen, kaufen, kaufen!
Nicht mehr der funktionelle Nutzen ist wichtig, sondern der Status, den das Produkt zu verleihen vermag. Unser Wirtschaftssystem ist darauf angewiesen, dass wir kaufen, selbst wenn wir etwas nicht benötigen. Nur das Nötigste zu konsumieren, wäre ruinös für das System, das nur wenigen dient, die an diesem Konsum verdienen. Selbst wenn der Autor das Bild braucht: „Menschen in Organisationen sind wie Fische im Wasser. Irgendwann ist die Organisation so selbstverständlich wie das Wasser für den Fisch.“ In Bezug auf die Kritikfähigkeit am eigenen Unternehmen und die Entwicklungsmöglichkeiten eines Produkts trifft es auf uns alle als Konsument*innen in einem Wirtschaftssystem zu, das Gewinne und Umsatz erzielen will.
Die Logik der geplanten Verschlechterung
Yoran zeigt anhand zahlreicher Beispiele und einer tiefgründigen Warenkritik auch die ökonomische Logik dahinter. In einer kapitalistischen Marktlogik kann es kein dauerhaft gutes Produkt geben, da es keinen Umsatz bringt. Stattdessen werden Produkte absichtlich schlechter gemacht. Neue, oft komplizierte Funktionen erweisen sich dabei als Scheininnovationen. Dieser Prozess wird als „Verkrempelung“ bezeichnet und von den Herstellern unter dem Deckmantel von Fortschritt und Innovation kaschiert.
Gemeinsam im Dunkeln suchen
Yoran überlässt es uns, die Frage weiterzudenken: Suchen wir nach besseren Alternativen? Das Buch zeigt, dass kollektive Veränderungen möglich sind, wie das FCKW-Verbot beweist. Doch es stellt uns auch vor die Herausforderung, nicht nur die „Verkrempelung“ zu benennen, sondern aktiv nach Wegen zu suchen, die den Menschen in den Mittelpunkt stellen. Vielleicht ist die eigentliche Provokation die Erkenntnis, dass wir den Schlüssel nicht dort finden werden, wo es am hellsten ist, sondern dort, wo wir bereit sind, gemeinsam im Dunkeln zu suchen. Dazu passt die kleine Geschichte, die Gabriel Yoran im letzten Kapitel vorstellt: „Nasreddin suchte nachts im Schein der Straßenlaterne seine Haustürschlüssel. Ein Freund half ihm, doch sie blieben erfolglos. Schließlich fragte er Nasreddin, ob er sich denn sicher sei, den Schlüssel hier bei der Laterne verloren zu haben. „Nein“, sagte er, „verloren habe ich ihn auf der anderen Straßenseite.“ „Und warum suchen wir ihn dann hier? „Weil es hier heller ist.’“
Menschliche Bedürfnisse
Eine tiefgründige Kritik an unserem Verhalten durchzieht das Buch. So entspricht es der Logik, dass fast am Ende das konvivalistische Manifest angesprochen wird, das von über 300 Kritiker:innen unterschrieben wurde, darunter die Wissenschaftlerin Maja Göpel. Yoran zitiert Agnes Heller mit den Worten: „Der höchststehende Gegenstand des menschlichen Bedürfnisses ist der andere Mensch.“ Darin gipfelt für mich das Buch.
Einladung
Wir veranstalten am 1. Oktober 2025 um 18.00 Uhr ein ZukunftsMacher VIPs Online-Meeting mit Gabriel Yoran zu seinem Buch „Die Verkrempelung der Welt“.
Sie sind herzlich dazu eingeladen. Wir bitten um Anmeldung.
Mit Ihrer Anmeldung erhalten Sie die Zoom-Zugangsdaten.
Über Gabriel Yoran
Gabriel Yoran, geboren 1978 in Frankfurt am Main, ist Unternehmer und Autor. Mit achtzehn gründete er sein erstes Unternehmen. Er promovierte über Spekulativen Realismus bei Graham Harman an der European Graduate School. Zuvor studierte er Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation an der UdK Berlin. Als Autor widmet er sich so unterschiedlichen Themen wie Kochen und klassischer Musik. Er ist Mitgründer mehrerer Unternehmen und Autor diverser Sachbücher, zudem schreibt er für den Merkur,Zeit OnlineKrautreporter und die taz.
Buchtipp
Die Verkrempelung der Welt | Zum Stand der Dinge (des Alltags)
Gabriel Yoran
edition suhrkamp
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