Seilbahnen über der Stadt: Warum ein Ingenieur die Mobilität in die Luft verlegen will
von Elita Wiegand
Die Verkehrswende kommt nicht vom Fleck: Staus, Lärm, Emissionen und ineffizienter ÖPNV prägen das Bild unserer Städte. Der Diplom-Ingenieur Jürgen Mülders und Geschäftsführer der gUG „Initiative Schienen Individual Verkehr“ hält das Auto längst für ein Auslaufmodell, zumindest in urbanen Räumen. Seine Vision: Seilbahnsysteme, die den Verkehr wortwörtlich auf eine neue Ebene heben.
Elita Wiegand hat ein Gespräch mit Jürgen Mülders geführt, über Statussymbole, städtische Lebensqualität und warum sich Technik und Bequemlichkeit nicht widersprechen müssen.

Jürgen Mülders
Was stört Sie an der aktuellen Mobilität in unseren Städten?
Jürgen Mülders: Das Auto ist nach wie vor das dominierende Verkehrsmittel, obwohl es uns zunehmend einschränkt. Es verursacht Lärm, Abgase und Frust. Wir stehen im Stau, verlieren Zeit, und die Kosten für Wartung, Parken, Infrastruktur steigen weiter. In NRW zum Beispiel stehen Autofahrer*innen im Schnitt 43 Stunden pro Jahr im Stau. Das ist nicht nur ineffizient, sondern auch absurd in einer Zeit, in der wir digitale Systeme und automatisierte Prozesse in fast allen Lebensbereichen einsetzen.
Hinzu kommt: Das Auto beansprucht enorme Flächen. In Städten, die unter Wohnraummangel und Hitzestress leiden, blockieren wir mit versiegelten Straßen und Parkplätzen Flächen, die wir eigentlich dringend für Grün, Wasser, soziale Begegnung oder einfach Lebensqualität bräuchten. Dabei verschärft der heutige Verkehr auch den Klimawandel massiv: Emissionen, Beton, Flächenversiegelung, all das treibt die Erderwärmung voran. Und noch etwas: Sobald wir ins Auto steigen, verändert sich unser Verhalten. Wir werden ungeduldiger, aggressiver das macht den Verkehr nicht nur ineffizient, sondern auch gefährlich. Zudem beklagen wir jährlich Verkehrstote.
Und wie könnte eine Lösung aussehen? Was wäre Ihrer Meinung nach der richtige Weg für eine Verkehrswende?
Jürgen Mülders: Wir müssen Mobilität neu denken, und zwar von Grund auf. Nicht nur den Motor tauschen, um die Elektromobilität voranzutreiben, oder Fahrradwege bauen, sondern wir müssen das ganze System infrage stellen. Es geht darum, wie wir uns durch Städte bewegen wollen: sicher, effizient, leise, sauber und für alle zugänglich.
Meine Überzeugung ist: Wir brauchen eine neue, eigenständige Verkehrsebene. Eine Infrastruktur, die nicht mit dem bestehenden Verkehr konkurriert, sondern ihn ersetzt. Und hier kommt die Idee eines urbanen Seilbahnsystems ins Spiel, eine Art Luftbahn mit Kabinen und Traggestellen für unsere heutigen Fahrzeuge (wie bei VW in Bratislava) die individuell und öffentlich genutzt werden können. Aber bevor wir ins Detail gehen: Für mich ist entscheidend, dass wir Mobilität nicht als Zweck an sich sehen, sondern als Werkzeug für mehr Lebensqualität.
Was ist das Besondere an Ihrem Seilbahn-Konzept?
Jürgen Mülders: Es ist nicht nur eine Seilbahn, wie man sie vielleicht aus Skigebieten kennt. Mein Konzept basiert auf einem urbanen Schienenseilsystem in etwa vier Metern Höhe. Es verbindet moderne Steuerungstechnik mit einem modularen Aufbau, der sich straßenweise realisieren lässt und unsere heutigen Fahrzeuge integriert, ohne sie einzuschränken. Statt Großprojekte mit jahrelangen Baustellen zu starten, kann jede Stadt klein anfangen und das System sukzessive erweitern.
Die Kabinen fahren automatisch, sind per App bestellbar und sind barrierefrei. An den Haltestellen senken sie sich auf Straßenniveau ab, während der Verkehr über ihnen weiterfließt. Es entsteht ein flächenschonendes, leises und sehr sicheres System.

Beispiel eines Seilbahnsystems in der Stadt von ottobahn.de
Was würde eine solche Infrastruktur kosten? Und wer soll das bezahlen?
Jürgen Mülders: Natürlich sind die Investitionen erheblich. Aber wir müssen anders rechnen: Wenn wir Unfallkosten, Staukosten, Infrastrukturverschleiß und Umweltfolgekosten einbeziehen, sieht die Bilanz ganz anders aus. Wir könnten langfristig rund 40 Prozent dieser Folgekosten einsparen. Auch Teile der Kfz‑Steuer ließen sich umwidmen. Und Straßen, die nicht mehr für PKW ausgelegt werden müssen, kosten in Bau und Erhalt deutlich weniger.
Allein durch die Reduktion von CO₂, Feinstaub und Stickoxiden könnte die Klimabilanz der Städte deutlich verbessert werden. Ein konsequent ausgebautes Seilbahnsystem hätte das Potenzial, den urbanen Verkehr fast vollständig klimaneutral zu gestalten.
Viele setzen auf autonomes Fahren. Wäre das nicht die einfachere Lösung?
Jürgen Mülders:Autonomes Fahren entlastet vielleicht den Menschen, aber nicht den Raum. Diese Fahrzeuge brauchen weiterhin asphaltierte Straßen, Verkehrsregeln und Ampeln. Sie lösen nicht das Problem der Flächenversiegelung, der städtischen Hitzeinseln oder der Trennung von Lebensräumen. Eine echte Verkehrswende braucht mehr als nur neue Antriebe – sie braucht neue Strukturen.
Was bedeutet das für den klassischen ÖPNV?
Jürgen Mülders:Der ÖPNV bleibt wichtig, aber muss sich verändern. Unser jetziges System ist kompliziert, oft nicht barrierefrei und in der Fläche schlecht getaktet. Seilbahnsysteme könnten eine Alternative sein: Sie ermöglichen ein 24/7-Angebot on Demand, auch am Wochenende. Und sie lassen sich in ein grenzenloses Ticketsystem integrieren, das auch neue Mobilitätsformen wie E-Bikes, Leihfahrzeuge oder die Bahn abdeckt. So entsteht ein echter Mobilitätsmix.
Gibt es Städte oder Regionen, wo ein Testbetrieb denkbar wäre?
Jürgen Mülders: Ja, zum Beispiel rund um den Garzweiler-See. Dort wird ohnehin geplant, alte Infrastruktur umzubauen. Warum nicht dort ein zehn Kilometer langes Seilbahnsystem testen? Mit Anbindung an Bahn, Bus, Parkplätze. Es wäre ein Realitätscheck und ein Leuchtturmprojekt.
Wie reagieren die Menschen auf Ihre Idee?
Jürgen Mülders: Überraschend oft höre ich: „Dann kann man ja in meine Wohnung gucken.“ Das erinnert mich an die Diskussion rund um die Wuppertaler Schwebebahn. Aber die Kabinen fahren mit 10 bis 15 km/h. Viel Zeit zum ‚Gaffen‘ bleibt da nicht. Und mal ehrlich: Jeder Fußgänger sieht im Erdgeschoss mehr als eine Kabine in vier Metern Höhe.
Städte würden sich radikal verändern. Wie sehen Sie das?
Jürgen Mülders: Ich sehe grüne, autofreie, lebenswerte Städte vor mir. Straßen ohne Lärm, ohne Abgase. Flächen, die heute vom Autoverkehr blockiert werden, könnten Parks, Spielplätze, Cafés oder Kulturflächen sein. Wir würden nicht nur Lebensraum zurückgewinnen: Wir würden auch unsere Städte gegen die Folgen des Klimawandels wappnen.
Was motiviert Sie persönlich, sich so intensiv mit der Verkehrswende auseinanderzusetzen?
Jürgen Mülders: Ganz ehrlich. Es ist Bequemlichkeit. Autofahren in der Stadt ist stressig. Ampeln, Fußgänger, Schilder, ständiges Aufpassen. Ich habe mir eine Lösung gewünscht, die komfortabler, sicherer und inklusiver ist. Vor allem für Menschen mit Einschränkungen bietet ein solches Seilbahn-System ganz neue Chancen.
Wie kann man Ihre Vision politisch durchsetzen?
Jürgen Mülders: Die Politik tut sich oft schwer mit Visionen. Aber wenn wir Unternehmen, etwa aus der Autoindustrie, für die Idee gewinnen, kann daraus ein echter Transformationsimpuls werden. Die Technik ist da. Es fehlt der Mut zur Umsetzung. Und vielleicht ein erstes Pilotprojekt, das zeigt: Es geht.
Ihre Vision in einem Satz?
Jürgen Mülders: Ich wünsche mir Städte, in denen wir den Raum zurückgewinnen für Menschen, für Natur, für die Zukunft, und die individuelle Mobilität ohne Einschränkungen komfortabler gestalten.