Wer sich am Gemeinwohl orientiert, gewinnt ein positives Image, treue Kunden und Top-Fachkräfte
Christian Felber ist Initiator der Bewegung Gemeinwohl-Ökonomie. Die Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ) ist ein innovatives, nachhaltiges Wirtschaftsmodell mit dem Ziel einer ethischen Wirtschaftskultur. Als Alternative zum gegenwärtigen Wirtschaftsverständnis baut sie auf den Werten Menschenwürde, ökologische Verantwortung, Solidarität, soziale Gerechtigkeit, demokratische Mitbestimmung und Transparenz auf. ZukunftsMacher Stefan Maier ist mit seinem Unternehmen Prior1 Mitglied der Gemeinwohl-Ökonomie.
Dazu ein Interview von Elita Wiegand mit Stefan Maier, Geschäftsführer Prior1
Die Gemeinwohl-Ökonomie steht für die Etablierung eines ethischen Wirtschaftsmodells und erhebt das Wohl von Menschen und Umwelt zum obersten Ziel des Wirtschaftens. Mittlerweile sind rund tausend Unternehmen zertifiziert. Prior1 ist seit 2017 dabei. Was hat Dich dazu bewogen?
Stefan Maier: Prior1 plant und baut Rechenzentren und damit gehören wir zu einer energieintensiven Branche. Bei uns ist der Hebel viel größer als bei einem Biobauern, der schon komplett nachhaltig wirtschaftet. Gerade deshalb haben wir eine besondere Verantwortung, Energieeffizienz und Klimaschutz voranzutreiben. Um unsere nachhaltige Entwicklung im Unternehmen zu strukturieren und messbar zu machen, haben wir nach einem System wie der GWÖ gesucht. Die GWÖ gibt uns viele Impulse für die Weiterentwicklung.
Wie Prior1 lassen sich Unternehmen nach den GWÖ-Kriterien bilanzieren und durch einen externen Zertifizierer auditieren. Wie muss man sich das genau vorstellen?
Stefan Maier: Die Gemeinwohlbilanz bewertet über eine Matrix Einzelpunkte von der „Menschenwürde in der Zulieferkette“ bis hin zur „Reduktion ökologischer Auswirkungen.“ Dazu gehören beispielsweise auch sozial-ökologische Investitionen, innerbetriebliche Mitentscheidung der Mitarbeitenden, ethische Kundenbeziehungen oder Sinn und gesellschaftliche Wirkung der Produkte. Dazu gibt es ein Handbuch mit den 20 verschiedenen Punkten. Zunächst beurteilt man selbst seine Situation und schreibt einen Bericht. Die Anstrengungen der Prior1 ökologisch und sozial zu wirtschaften, wird dann von einem externen Auditor überprüft und in Zahlen festgehalten. Zurzeit befinden wir uns in der dritten Bilanzierungsrunde.
Welche Ergebnisse der Matrix haben Dich überrascht?
Stefan Maier: Überrascht hat mich der Punkt „ethischer Umgang mit Geld“. Alle Geschäftskonten sind bei der GLS-Genossenschaftsbank, die bei allen Finanzgeschäften soziale und ökologische Belange in den Vordergrund stellt. Wie viel nachhaltiger kann man noch sein? Die Bilanz hat dann aber gezeigt, dass unsere Leasingfahrzeuge oder Bürgschaften gar nicht nachhaltig finanziert waren, wenn wir unsere Fahrzeuge über den Autohersteller abwickeln. Das haben wir geändert. Insgesamt ist die Punktevergabe zwar streng, aber die Ergebnisse sind nachvollziehbar.
In Eurer Bilanz steht zum Beispiel auch, dass bei Prior1 nicht die Gewinnmaximierung im Vordergrund steht. Diese Einstellung widerspricht der gängigen Meinung vieler Unternehmen. Wie stehst Du dazu?
Stefan Maier: Wir müssen und wir wollen Geld verdienen. Es ist auch positiv für uns, wenn wir auf Basis unserer ethisch-ökologischen Grundsätze mehr Gewinn erwirtschaften. Wirtschaftlicher Erfolg zeigt sich aber nicht nur im nächsten Jahresabschluss. Als Unternehmer denke ich an die langfristige Existenzsicherung des Unternehmens. Das heißt, ich muss auch die Existenz der Erde und der Menschen sichern, wenn das Unternehmen überleben soll. So ist es uns auch wichtig, unsere Mitarbeiter:innen mit einer Gewinnausschüttung zu beteiligen. Wir investieren in die körperliche und seelische Gesundheit, zahlen zusätzlich für alle private Krankenzusatzversicherungen und es gibt jährlich eine automatische Gehaltsanpassung für die unteren Einkommen. Zum Gesamtpaket gehört auch, dass Prior1 Mitarbeiter:innen mit Anspruch auf einen Dienstwagen eine Jahreskarte der Bahn erster Klasse erhalten, wenn sie auf das Auto verzichten. Gewinnmaximierung lehnen wir ab, wenn Unternehmen die Löhne drücken, gierig sind und auf Kosten von Menschen und Umwelt höhere Umsätze erzielen wollen.
Warum ist Nachhaltigkeit so wichtig für Dich?
Stefan Maier: Wenn wir uns nicht um unseren Planeten kümmern, werden wir nicht mehr wirtschaften können, denn die Erderwärmung wird uns den Boden unter den Füßen wegziehen. Das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung hat kürzlich Zahlen vorgelegt, die zeigen, was in den nächsten Jahren passieren wird. Wir müssen damit rechnen, dass die Wirtschaft um fast 20 Prozent einbricht. Was mich besonders ärgert, ist, dass alle vor den Folgen des Klimawandels für die Wirtschaft warnen und trotzdem alle nach billigem Strom und Gas schreien und den Konsum weiter ankurbeln.
Was hat sich durch das gemeinwohlorientierte Wirtschaften bei Prior1 verändert?
Stefan Maier: Gemeinwohlorientiertes Wirtschaften ist ein Entwicklungsprozess. Wir schauen immer wieder, wo wir stehen und überprüfen unser ökologisches, soziales und ökonomisches Handeln. Für mich ist GWÖ ein Spiegel, in den ich hineinschaue und sehe, wo Handlungsbedarf besteht. Der Gewinn ist jedoch nicht nur ein positives Image in der Öffentlichkeit. Trotz Fachkräftemangel erhalten wir viele Bewerbungen, haben einen weit unterdurchschnittlichen Krankenstand und eine geringe Fluktuation. Unser Engagement wird auch von unseren Kunden positiv bewertet und trägt zu Kaufentscheidungen bei. Wir stellen zum Beispiel auch fest, dass potenzielle Kunden unsere Bilanz lesen, die wir auf unserer Website veröffentlicht haben, und daher genau wissen, dass wir ein fairer Partner sind. Zum Vertrauen trägt auch bei, dass wir keine Provisionen an den Vertrieb zahlen und nur das verkaufen, was der Kunde wirklich braucht.