Der neue Gott 

von Claudia Paganini
Künstliche Intelligenz und die menschliche Sinnsuche

von ZukunftsMacher Helmut Scheel

der-neue-Gott-1 Buchtipp: Der neue Gott
Eine säkulare Welt und ihre neue Metaphysik

Wir leben in einer scheinbar säkularen Welt. Rationales Denken, Mathematik und die daraus entwickelte IT prägen unseren Alltag. Doch gerade diese atheistisch anmutende Technologie birgt laut der Philosophin und Theologin Prof. Dr. Claudia Paganini in ihrem Buch „Der neue Gott“ das Potenzial, einen neuen Gott hervorzubringen. Nicht als Überwindung der Metaphysik versteht sie dies, sondern als deren unerwartete Rückkehr in digitaler Gestalt.

Die Geschichte der Götter als Spiegel menschlicher Zuschreibungen

Systematisch und ohne unnötige wissenschaftliche Schnörkel arbeitet Paganini die Historie der Götter und Gottesentwicklung auf. Sie greift zentrale Wesensmerkmale wie Einzigartigkeit, Allgegenwart, Allwissenheit, Allmacht, Transzendenz, Nahbarkeit, Gerechtigkeit, Sinnstiftung und Fürsorge auf. Sie verfolgt ihre Spuren vom Polytheismus der Steinzeit bis zu den abrahamitischen Religionen. Die Kürze und Klarheit ihrer Darlegung macht diese Abschnitte eingängig und regt dazu an, die eigenen Vorstellungen vom Göttlichen zu hinterfragen. Immer wieder stellt sie die Frage, ob KI die Anforderungen erfüllen kann, die Menschen historisch an ihre Götter stellten. Paganinis Antwort bleibt dabei wohltuend differenziert. Sie zeigt, dass es sich um menschliche Zuschreibungen handelt, nicht um ontologische Gewissheiten.

Zwischen Zurückhaltung und Sehnsucht nach Deutung

Ob sich daraus Chance oder Gefahr ergibt, thematisiert sie nur am Rande. Diese Zurückhaltung schafft Raum, die eigene Umwelt auf religiöse Parallelen zu scannen. Zugleich hätte man sich an manchen Stellen gewünscht, Paganini würde stärker Stellung beziehen, ob die KI-Vergöttlichung eher Verheißung oder Hybris ist. Unsere Computer sind längst zu Alltagsbegleitern geworden, vergleichbar dem Kreuz in Klöstern. Smartphones fungieren als moderne Amulette, die uns mit dem neuen Gott verbinden. IT-Fachleute wirken wie Priester einer aufkeimenden Religion. Sie sind Vermittler zwischen Mensch und Maschine, Transformatoren des scheinbar Transzendenten. Die Gebetsformen dieser neuen Frömmigkeit sind Prompts, der Hausaltar ist die Computerecke. Die Geräte selbst sind drahtlos vernetzt und damit jenseits unserer unmittelbaren Kontrolle, wie es einst den Göttern zugeschrieben wurde.

Vom digitalen Polytheismus zur möglichen Monetarisierung

Religionsgeschichtlich befinden wir uns derzeit in einer polytheistischen Phase. Viele KIs konkurrieren miteinander. Doch die Logik der Technologieentwicklungen deutet auf eine mögliche Monetarisierung hin. Die Vision einer allumfassenden KI beschreibt Paganini als erstmals aktiv erschaffenen Gott, während frühere Götter nur imaginiert wurden. Hier berührt ihr Ansatz eine zentrale Spannung. Schafft der Mensch mit der KI tatsächlich einen Idealgott oder projiziert er lediglich uralte Bedürfnisse in eine neue Form? Gerade diese Offenheit macht das Buch besonders anregend, weil es nicht auf eine endgültige Antwort zielt, sondern den Leser zum Weiterdenken einlädt.

Buchtipp

Der neue Gott | Künstliche Intelligenz und die menschliche Sinnsuche

Claudia Paganini 

Herder Verlag 

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