Buchtipp: „Nexus“ von Yuval Noah Harari: Eine Reise durch die Geschichte der Information mit dystopischem Ausblick

von ZukunftsMacher Helmut Scheel

Harari-Nexus Eine Reise durch die Geschichte der Information mit dystopischem Ausblick

Der Bestsellerautor Yuval Noah Harari hat weltweit über 45 Millionen Bücher verkauft. In seinem neuen Werk „Nexus“ warnt er vor der Macht der künstlichen Intelligenz. Wie bei seiner „Geschichte der Menschheit“, so verspricht er im Untertitel seines aktuellen Buches „Eine kurze Geschichte der Informationsnetzwerke von der Steinzeit bis zur künstlichen Intelligenz“ auch Kürze. Herausgekommen ist ein Buch mit 600 Seiten.

Das Medium Sprache

Er durchleuchtet Informationen, die Sprache, Schrift und Büchern, die Informationen, die uns als Menschheit weitergebracht haben und bestätigen, dass wir als Homo sapiens denkende Wesen sind. Harari beginnt mit der Sprache, die in ihren Anfängen nur gesprochen oder durch Zeichen dargestellt wurde. Die Entwicklung der Schrift als dauerhaftes Medium brachte grundlegende Veränderungen mit sich: Bürokratie, Machtstrukturen und Steuerlisten entstanden. Auch die frühen Mythen, die Weltdeutungen und moralischen Normen vermittelten, fanden in schriftlicher Form ihre Verbreitung. Dies führte letztlich zu den ersten Religionen. Mit der Erfindung des Buchdrucks vervielfachte sich die Reichweite, denn noch nie zuvor ließ sich in der Geschichte der Menschheit Informationen und Wissen so schnell verbreiten.

Revolutionärer Schub

Bis hierhin bietet „Nexus“ wenig Neues. Doch mit dem Aufkommen des Computers und des Internets erlebte die Informationsverbreitung einen revolutionären Schub. Plötzlich war es möglich, global und in Echtzeit Informationen auszutauschen. Der Autor argumentiert, dass die Geschwindigkeit und Reichweite der Informationsverbreitung eng mit der Größe historischer Reiche zusammenhängen: Je größer das Reich, desto schwieriger war es zu regieren – es sei denn, loyale und vertrauenswürdige Personen dienten als lokale Vertreter, die nicht nur Gesetze durchsetzten, sondern auch Informationen an das Zentrum der Macht weiterleiteten.

Düstere Prognosen

Für Yuval Noah Harari ist dieses Netzwerk der Nexus – das Herzstück eines Informationssystems, in dem alle Fäden zusammenlaufen. Er sieht die Zukunft dieser Systeme in der Künstlichen Intelligenz (KI). Seine düsteren Prognosen zur KI sind jedoch oft spekulativ und berücksichtigen alternative, realistischere Szenarien nur unzureichend. Auch seine Definition des Begriffs „Algorithmus“ bleibt vage, da KI heutzutage vor allem auf neuronalen Netzen basiert – ein Konzept, das sich von klassischen, festgelegten Algorithmen stark unterscheidet. Während Algorithmen deterministisch sind, zeichnen sich neuronale Netze durch ihre Fähigkeit aus, Muster zu erkennen und sich anzupassen. Diese Unterscheidung ist entscheidend, da sie den Kernunterschied zwischen klassischer Software und lernfähiger KI verdeutlicht.

Dystopische Zukunftsvisionen 

Ab diesem Punkt verfällt Harari in dystopische Zukunftsvisionen. Er stellt einen Trichter auf, in den er alle historischen Entwicklungen gießt, um sie schließlich in der These münden zu lassen, dass alles auf eine Machtkonzentration bei einer Super-KI hinausläuft. Diese wird sich seiner Meinung nach auf verschiedene Nationen aufteilen, die nicht notwendigerweise den Machtblöcken des Kalten Krieges entsprechen müssen. In dieser Welt drohen „KI-Kriege“ zwischen den Systemen. Die Möglichkeit, dass verschiedene nationale KI-Systeme kooperieren könnten, bleibt weitgehend unberücksichtigt. Zwar versucht Harari, am Ende positive Aspekte einfließen zu lassen, doch es wirkt eher wie ein halbherziger Nachtrag.

Zusammenfassung 

Länge und Oberflächlichkeit: Trotz des Titels „Eine kurze Geschichte der Informationsnetzwerke“ streckt Harari komplexe historische Entwicklungen unnötig in die Länge, ohne dabei ausreichend in die Tiefe zu gehen. Viele Passagen wirken redundant, insbesondere für Leser:innen, die bereits mit seinen früheren Werken vertraut sind.

Unpräzise Technikanalyse: Hararis Ausführungen zur KI bleiben ungenau, vor allem im Umgang mit dem Begriff „Algorithmus“. Eine detailliertere Auseinandersetzung mit den aktuellen Entwicklungen in der KI-Forschung hätte seine Argumentation gestärkt und seine dystopischen Prognosen fundierter gemacht.

Dystopische Tendenzen: Hararis Hang zu dystopischen Szenarien mag faszinierend sein, doch lässt er dabei oft realistischere und positivere Perspektiven außer Acht. Eine differenziertere Betrachtung der technologischen Entwicklungen wäre wünschenswert gewesen.

Machtkonzentration und KI-Kriege: Seine Schlussfolgerung, dass alle historischen Entwicklungen auf eine Machtkonzentration bei einer Super-KI hinauslaufen, ist übertrieben. Die Möglichkeit einer internationalen Zusammenarbeit verschiedener KI-Systeme wird vernachlässigt, was zu einem übermäßig pessimistischen Ausblick führt.

Historische Einbettung: Die Stärke des Buches liegt in der Verknüpfung historischer Entwicklungen mit der Informationsverbreitung. Besonders interessant ist die Verbindung zur Mythologie, die die KI in einem fast mythischen Kontext erscheinen lässt.

Fazit 

Der Stil des Bestsellerautors ist, wie in seinen vorherigen Büchern, zugänglich und präzise. Seine Fähigkeit, komplexe Themen in klare, verständliche Worte zu fassen, bleibt seine Stärke. Er neigt zu prägnanten, provokativen Aussagen, die den Leser dazu bringen, weiter über das Gelesene nachzudenken. So bietet das Buch interessante Einsichten in die Geschichte der Informationsnetzwerke und regt zur Auseinandersetzung mit den Herausforderungen der KI an. Doch seine dystopische Perspektive, die ungenaue Technikanalyse und die Länge des Buches beeinträchtigen das Leseerlebnis. Leser:innen sollten seine Thesen kritisch hinterfragen und weitere Analysen hinzuziehen, um sich ein umfassenderes Bild von der Zukunft der KI und der Informationsgesellschaft zu machen.

Buchtipp

Nexus |  Eine kurze Geschichte der Informationsnetzwerke von der Steinzeit bis zur künstlichen Intelligenz

von Yuval Noah Harari

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Nexus-neu Eine Reise durch die Geschichte der Information mit dystopischem Ausblick

Yuval Noah Harari

Yuval Noah Harari, geboren 1976, promovierte in Oxford und ist Professor für Geschichte an der Hebrew University of Jerusalem mit einem Schwerpunkt auf Universalgeschichte. Sein Kultbuch »Sapiens. Eine kurze Geschichte der Menschheit« wurde in knapp 40 Sprachen übersetzt und weltweit zu einem Bestseller, aus dem weiterhin eine Graphic-Novel- und eine Jugendbuchreihe entstanden.

Auch Hararis Zukunftsvision »Homo Deus« und »21 Lektionen für das 21. Jahrhundert« begeisterten weltweit Millionen. 2019 gründete Yuval Noah Harari gemeinsam mit Itzik Yahav »Sapienship« – eine gesellschaftlich engagierte Organisation mit Projekten in Unterhaltung und Bildung, um das öffentliche Gespräch auf die globalen Herausforderungen zu lenken, vor denen wir heute stehen. Harari ist einer der maßgeblichen Vordenker, der sich regelmäßig zu den wichtigsten Themen unserer Zeit äußert.