Eine der größten Herausforderungen ist die Versorgung der wachsenden Bevölkerung mit Lebensmitteln. Deshalb sind vor allem in urbanen Räumen innovative Lösungen gefragt. Im Verbundprojekt SUSKULT geht das Fraunhofer UMSICHT gemeinsam mit Partnern aus Forschung und Praxis einen ungewöhnlichen Weg. Der Gemüseanbau direkt auf der Kläranlage bildet die Grundlage für eine urbane und zirkuläre Agrarproduktion.

SUSKULT wird als kreislauforientiertes Agrarsystem entwickelt, in dem Kläranlagen zu Nährstofflieferanten für den lokalen Gemüseanbau werden.

Hintergründe in einem Interview von Elita Wiegand mit Volkmar Keuter, Abteilungsleiter für Umwelt und Ressourcennutzung beim Fraunhofer UMSICHT.

Volkmar-Keuter SUSKULT: Gemüse von Kläranlagen

Dipl. Ing. Volkmar Keuter, Projektkoordination Fraunhofer UMSICHT | Foto: Copyright ©Fraunhofer UMSICHT

SUSKULT gilt als Agrarsystem der Zukunft. Was genau verbirgt sich dahinter? 

Volkmar Keuter: SUSKULT ermöglicht in Zukunft den Gemüseanbau in der Stadt mit hoher Qualität und ohne negative Auswirkungen auf die Umwelt. Die Vision von SUSKULT entstand bereits 2016 und wir verfolgen damit, dass bis Mitte des Jahrhunderts aus konventionellen Kläranlagen sogenannte „NEWtrient® Center“ werden. Neben sauberem Trinkwasser, CO₂ und Energie geht es dabei vor allem um die Bereitstellung aller Nährstoffe für die gartenbauliche Produktion. SUSKULT ist deshalb zukunftsweisend, weil wir erstmals diese Systeme kombinieren.

Sie sprachen gerade davon, dass Sie mit SUSKULT die notwendigen Nährstoffe finden. Warum ist das wichtig?

Volkmar Keuter: Bei Stickstoff, Phosphor und Kalium spricht man auch gerne von „NPK-Dünger“. Die braucht man für den Anbau, aber wie kommt man an die Nährstoffe? Wir beim Fraunhofer UMSICHT haben dazu geforscht und herausgefunden, dass diese Nährstoffe alle im Abwasser enthalten sind, teilweise in unterschiedlichen Konzentrationen. Wenn es gelingt, diese Ressourcen effizient und schadstofffrei zurückzugewinnen und dann in flüssiger Form direkt in die Hydroponik zu bringen, ist das ideal, um in Zukunft den hydroponischen Anbau verbrauchernah in einem Kreislauf zu fördern.

Die Böden sind durch Nitrat extrem belastet und die Phosphorvorkommen sind begrenzt. Wie kann man dem mit SUSKULT entgegenwirken?

Volkmar Keuter: Phosphor wird als Mineral abgebaut, unter anderem in Asien oder Nordafrika und es kommt in einigen wenigen anderen Ländern vor, aber nicht in Deutschland. Doch Phosphor ist nicht nur für die Pflanzen, sondern auch für die menschliche Ernährung sehr wichtig. Für alles Leben ist Phosphor essenziell, denn ohne Phosphor könnten wir nicht überleben. Die mineralischen Ressourcen gehen zur Neige und der Aufwand, den wir mittlerweile betreiben müssen, um die Mineralien abzubauen, wird immer größer. Der Schluss liegt nahe, Phosphor aus anderen Ressourcen zum Beispiel aus Abwasser oder Gärresten zurückzugewinnen.

Aus Abwasser, Gemüse produzieren, wie groß war der Ekelfaktor?

Volkmar Keuter: Wir hatten am Anfang Sorge, zu kommunizieren, dass wir mit Abwasser Gemüse produzieren und wir auf einen Ekelfaktor stoßen. Wir waren auch besorgt über die ersten Überschriften in diversen Zeitschriften, die dann hießen „Gemüse von Kläranlagen“: Doch es ist genau der richtige Weg, wie man mit Menschen ins Gespräch kommt. Dazu haben wir unterschiedliche Befragungen gemacht, zum Beispiel auf dem Duisburger Umweltmarkt. Das Ergebnis hat uns positiv überrascht: Von 150 Befragten, können sich 60 Prozent vorstellen, diese Produkte zu essen.

SUSKULT-scaled SUSKULT: Gemüse von Kläranlagen

Foto: Copyright ©Fraunhofer UMSICHT

Es gibt sicherlich auch Kritiker des Projekts SUSKULT, die Gefahren wittern. Was setzen Sie dem entgegen?  

Volkmar Keuter: Bereits im Jahr 2022 konnten wir nachweisen, dass der Flüssigdünger, den wir generieren, nahezu frei von Schwermetallen ist. Damit unterschreiten wir bei weitem die deutsche Düngungsmittelverordnung. Wir hatten am Anfang nur einen „Proof of concept“ das heißt, wir wussten, dass wir aus Abwasser Stoffe zurückgewinnen können. Wir wussten aber nicht, inwieweit wir es schaffen, die Nährstoffe von anderen Schadstoffen zu trennen und gleichzeitig auch ein hochkonzentriertes Düngemittel herzustellen. Auf Basis dieses Konzepts haben wir uns erst einmal im Labormaßstab die verschiedenen Technologien angeschaut, überlegt und ausgerechnet, welche Technologie für welchen Einsatzzweck die richtige ist. Schritt für Schritt haben wir die Verfahrensentwicklung vom Labor auf das reale Abwasser um eine Maßstabsvergrößerung etwa um den Faktor 200 übertragen.

Das Forschungsprojekt wird von 15 Partner betrieben, darunter Universitäten, Forschungseinrichtungen sowie Institutionen aus Industrie und Wirtschaft. Es sind aber auch Lebensmittelkonzerne wie die Metro AG und Rewe Markt GmbH mit dabei. Mit welchem Interesse?

Volkmar Keuter: Bei diesem Projekt braucht man einen transdisziplinären Ansatz, um alle wissenschaftlichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aspekte einzubeziehen. Uns freut es, dass auch Vertreter aus dem Lebensmitteleinzel- und Großhandel dabei sind. Die Metro und REWE sind daran interessiert, gegenüber den Produkten, die sie auf den Markt bringen, nicht auf dem Status Quo stehenzubleiben und in die Zukunft zu blicken. Dem Thema Nachhaltigkeit kann sich heute keiner mehr verschließen. Deswegen ist auch für die Unternehmen wichtig, früh an solchen Forschungsprojekten teilzunehmen.

Im Jahr 2022 wurde auf dem Gelände des Klärwerks Emschermündung an der Stadtgrenze zwischen Dinslaken, Duisburg und Oberhausen die SUSKULT-Pilotanlage eröffnet.

Volkmar Keuter: Ja, wir haben kontinuierlich unsere Laborergebnisse in die Planung der Pilotanlage einfließen. Es sind insgesamt fünf SUSKULT-Bausteine. Drei von ihnen wandeln die Ressource Abwasser in NPK-haltigen Flüssigdünger (NPK: Stickstoff, Phosphor und Kalium) um, in den anderen beiden wird dieser Dünger zur Kultivierung beispielsweise von Gemüse und Salat sowie gesundheitsfördernden Lebensmitteln wie Süßkartoffeln und Moringa verwendet. Der Anbau erfolgt vertikal, das ist platzsparend und saisonunabhängig. Des Weiteren werden Wasserlinsen produziert, die über einen hohen Vitaminanteil verfügen und als regionaler Sojaersatz dienen können.

Nun ist es ein Pilotprojekt. Was ist weiter geplant?  

Volkmar Keuter: Bis zu Umsetzung wird es noch dauern, denn es sind vom jetzigen Maßstab zu einer großtechnischen Aufbereitung noch mal mindestens zwei Skalinierungsschritte notwendig. Bis es zur Marktreife kommt, gibt es auch noch weitere Hürden und Regularien. Heute dürften wir den Dünger, den wir produzieren, noch nicht in den Markt bringen. Deshalb gehören zu den nächsten Schritten die Zertifizierung des Düngers und die Optimierung der gesamten Technologie.

 Wo liegen die Chancen?

Volkmar Keuter: Das Projekt SUSKULT reicht weit in die Zukunft. Ein Beispiel: Früher lagen Kläranlagen am Rande der Stadt. Wir möchten, dass zukünftig Kläranlagen von einem Ort der Abwasserentsorgung zu einem Ressourcenzentrum werden. Es ist auch vorstellbar, dass dann zum Beispiel in der Nähe Wochenmärkte entstehen und die Verbraucher dort direkt das frische Gemüse einkaufen kann. Unser SUSKULT-Konzept sieht vor, dass im Jahr 2050 von den »NEWtrient®-Center« die Stadt mit frischen und gesunden Lebensmitteln versorgt werden. Damit entfallen Transportwege und es werden nur Nährstoffe verwendet, die ohnehin schon vor Ort verfügbar sind. Der andere positive Aspekt: Zu den zentralen Lösungsansätzen zählen mehr Regionalität und eine Kreislaufführung der eingesetzten Ressourcen. Die Integration dieses neuen Agrarsystems bietet weitere Chancen für eine zukunftsfähige und innovative Stadtentwicklung.