Zehn Fragen und Antworten für Rechenzentrumsbetreiber zum neuen Energieeffizienzgesetz

Dazu ein Interview mit Martin Weber, Berater Rechenzentren Prior1

Im November ist das neue Energieeffizienzgesetz (EnEfG) in Kraft getreten. Für Rechenzentrumsbetreiber sind damit neue Herausforderungen verbunden – und eine Vielzhahl von Fragen. In dem Interview duchleuchten wir Hintergründe zu dem Gesetz. Martin Weber fokusiert sich auch auf praxisorientierte Lösungsansätze, die dabei helfen, den neuen Anforderungen wirkungsvoll zu begegnen.

Das Gesetz bildet einen zentralen Bestandteil der ambitionierten Bemühungen, den Energieverbrauch in dieser energieintensiven Branche zu senken und nachhaltige Praktiken und Best-Practices voranzutreiben. Die daraus resultierenden Fragen der Rechenzentrumsbetreiber reichen von technischen Aspekten bis hin zu regulatorischen Anforderungen. 

Prior-1 Was bringt das Energieeffizienzgesetz für Rechenzentrumsbetreiber?

Martin Weber, Berater Rechenzentren bei Prior1

Für welche Rechenzentren gilt das EnEfG?

Martin Weber: Der Geltungsbereich des EnEfG erstreckt sich auf Rechenzentren, die eine nicht-redundante elektrische Nennanschlussleistung ab 300 kW besitzen. Leider hat der Gesetzgeber damit ein Kriterium gewählt, das bisher nicht genauer in der europäischen Rechenzentrumsnorm EN 50600 normativ definiert wurde.

Unter „nicht-redundante Nennanschlussleistung eines RZ“ versteht Prior1 das Ergebnis einer Leistungsbilanz, die initial im Rahmen einer RZ-Planung erstellt wird bzw. wurde. Es handelt sich um die konzeptionelle maximale Leistungsaufnahme des gesamten RZ (IT-Komponenten und alle weiteren Systeme der versorgenden RZ-Infrastruktur) bei Vollausbau. Da laut Gesetz nur die „nicht-redundante Nennanschlussleistung“ maßgeblich ist, werden etwaige Redundanzen hierbei nicht berücksichtigt und nur ein Versorgungspfad des RZ betrachtet.

Doch inzwischen hat der Gesetzgeber eine Hilfestellung veröffentlicht, um Nennanschlussleistung zu ermitteln. Er weist darauf hin, dass die Ermittlung der nicht redundanten elektrischen Nennanschlussleistung je nach Einzelfall variiert. Grundsätzlich kann sie jedoch über die im Vertrag zwischen dem Rechenzentrumsbetreiber und dem Stromnetzbetreiber festgelegte maximale Leistung, oft als „Bestellleistung“ bestimmt werden. Fehlt eine solche vertragliche Regelung, lässt sie sich aus der Summe der Leistungen der nicht-redundanten Leistungsschalter in der Niederspannungshauptverteilung (NSHV) ermitteln. Besondere Fälle wie Fernkältebezug oder Anlagen mit Mehrfachnutzen, die nicht an derselben NSHV wie das Rechenzentrum angeschlossen sind, werden bei dieser Berechnung nicht berücksichtigt.

Gelten die Regelungen für alle Standorte eines Unternehmens oder pro Standort?

Martin Weber: Die Regelungen des Energieeffizienzgesetzes werden auf der Ebene jedes einzelnen Rechenzentrums angewendet. Dies bedeutet, dass jedes Rechenzentrum individuell bewertet wird, basierend auf seiner dedizierten Energieversorgung und Kälteerzeugung. Eine besondere Bedeutung kommt dabei der Frage zu, ob mehrere Rechenzentren an einem Standort als ein einzelnes Rechenzentrum gelten. Dies wird durch die spezifische Konfiguration und Nutzung der Energieinfrastruktur bestimmt. Handelt es sich um zwei voneinander unabhängige Rechenzentren, sind sie einzeln zu betrachten und die Nennanschlussleistungen bei der Bestimmung, ob das EnEfG Anwendung findet, sind nicht zu addieren.

Verteilte IT-Systeme, die beispielsweise in Verteilerräumen der Netzwerkinfrastruktur von Verwaltungsgebäuden betrieben werden, die sich außerhalb des Hauptbereichs des Rechenzentrums befinden, zählen zudem nicht zum Rechenzentrum im Sinne des Energieeffizienzgesetzes. Die Abgrenzung des Rechenzentrums ist somit entscheidend, um sicherzustellen, dass nur die Energieverbräuche und -effizienzen der zentralen RZ-Infrastruktur in die Bewertung einfließen und externe Systeme nicht berücksichtigt werden.

Prior1_neue_Halle-1024x576-1 Was bringt das Energieeffizienzgesetz für Rechenzentrumsbetreiber?

Was sind die Hauptanforderungen an Rechenzentren, die sich aus dem Energieeffizienzgesetzes (EnEfG) ergeben?

Martin Weber: Das EnEfG beinhaltet für neu errichtete und Bestands-Rechenzentren hohe Anforderungen an die Energieeffizienz der RZ-Infrastruktur. Gemessen wird diese durch die seit vielen Jahren etablierte Kennzahl PUE (Power Usage Effectiveness).

Darüber hinaus müssen alle unter das Gesetz fallenden Rechenzentren seit Beginn des Jahres 2024 ihren elektrischen Energiebedarf zu mindestens 50 Prozent durch Strom aus erneuerbaren Energien decken. Diese Anforderung verschärft sich: Ab dem 1. Januar 2027 muss das Rechenzentrum vollständig mit sogenanntem Ökostrom versorgt sein.

Ab Mitte des Jahres 2026 müssen zudem neu errichtete Rechenzentren die eingesetzte Energie zu bestimmten Mindestanteilen einer Wiederverwendung in Form von Abwärmenutzung zuführen.

Zudem wird für alle Rechenzentren die Implementierung eines Energie- oder Umweltmanagementsystems gefordert,  die ab einer bestimmten RZ-Größe validiert und auch zertifiziert werden muss.

Ferner bestehen Informationspflichten. So richtet die  Bundesregierung hierzu aktuell ein Energieeffizienzregister für Rechenzentren ein. Die Betreiber sind aufgefordert  jährlich die Informationen zu übermitteln.

Welche Herausforderungen resultieren hieraus für RZ-Betreiber?

Martin Weber: Für bestehende Rechenzentren müssen Maßnahmen ergriffen werden, um die Energieeffizienz zu steigern und somit die hohen Effektivitätskriterien bis zu den im Gesetz festgelegten Stichtagen zu erfüllen. Dies kann nach der Ermittlung und Analyse der aktuellen Effizienzkennwerte eine Änderung der angestrebten Umgebungsbedingungen im RZ und auch Umbauten oder sogar einen vollständigen Austausch der Klimatechnik erfordern.

Darüber hinaus kann je nach Ausgangslage zunächst die initiale Einrichtung oder Erweiterung eines bestehenden Energiemonitoringsystems notwendig sein, um die geforderten Effizienzkennzahlen (z.B. PUE-Wert) überhaupt ermitteln zu können.

Die Erfüllung der Anforderung in Bezug auf die Versorgung des Rechenzentrums mit Energie aus erneuerbaren Quellen, die Implementierung und ggf. Zertifizierung eines Energiemanagementsystems sowie die jährliche Berichtspflicht erfordern zudem unter Umständen vertragliche, prozessuale und weitere organisatorische Maßnahmen.

Welche Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz werden im Bestand empfohlen?

Martin Weber: Zunächst ist sicherzustellen, dass ein umfassendes Energiemonitoring vorhanden ist. Nur auf diese Weise ist die Bestimmung des energetischen Ist-Zustandes möglich. Im nächsten Schritt sollte im Rahmen einer strukturierten Energieeffizienzanalyse Potentiale und sinnvolle Effizienzsteigerungsmaßnahmen erkannt und abgeleitet werden. Dies beinhaltet selbstverständlich immer auch eine Wirtschaftlichkeitsbetrachtung.

Da die Kühlung eines Rechenzentrums, nach den IT-Systemen selbst, in der Regel den größten Energieverbrauch im RZ aufweist, wird häufig an dieser Stelle angesetzt, um die Effizienz zu steigern. Es sollte überprüft werden, welche Auswirkungen durch die Erhöhung der Zulufttemperatur im Rahmen der Empfehlungen der ASHRAE erzielt werden können. Außerdem besteht im Bestand häufig noch Potential zur Optimierung der Luftführung und -verteilung im Rechenzentrum.

Beinhaltet die Kälteerzeugung bisher noch keine Möglichkeit der freien Kühlung, ist es in der Regel nicht möglich, die hohen Effizienzanforderungen einzuhalten und in vielen Fällen ergibt sich hieraus die Notwendigkeit der Investition in neue und deutlich effizientere Kühlsysteme und -konzepte, die dem heutigen Stand der Technik entsprechen.

Kann rückgewonnene Wärme im PUE-Wert berücksichtigt werden?

Martin Weber: Die Kennzahl Power Usage Effectiveness (PUE) ist ein zentraler Indikator im Energieeffizienzgesetz, der die Effizienz der versorgenden Infrastruktur des Rechenzentrums darstellt. Die PUE-Berechnung basiert auf dem Verhältnis von RZ-Gesamtenergieverbrauch zur durch die IT-Systeme aufgenommen Energie. Rückgewonnene Wärme darf nicht bei der Ermittlung des Power Usage Effectiveness-Wert eines Rechenzentrums berücksichtig werden, um diesen zu verbessern. Die Nutzung rückgewonnener Wärme ist aber dennoch in vielen Fällen als ökologisch und ökonomisch sinnvoll zu erachten. Außerdem ist Abwärmenutzung gemäß EnEfG für neue Rechenzentren, die ab 1. Juli 2026 in Betrieb gehen, verpflichtend. Zur Abbildung des Grades der Abwärmenutzung existiert die Kennzahl Energy Reuse Factor (ERF).

Wohin müssen jährlich Informationen und Energieverbrauchsdaten gemeldet werden?

Martin Weber: Rechenzentrumsbetreiber müssen zukünftig jährlich bis zum 31. März Daten über ihr RZ für das vorherige Jahr veröffentlichen und an den Bund senden. Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA), speziell die Bundestelle für Energieeffizienz, ist für die Verwaltung des Energieeffizienzregisters für Rechenzentren (RZReg) zuständig.

Das RZReg ist unter der Domain rechenzentrums-register.de erreichbar. Auf dieser Webseite werden Fragen in Form von FAQs beantwortet sowie die Kontoeröffnung und Identifikation mittels ELSTER-Unternehmenszertifikat beschrieben. Ab April 2024 besteht dann die Möglichkeit, Informationen und Daten zu Rechenzentren zu erfassen.

Wann sollten RZ-Betreiber handeln?

Martin Weber: Die Berichtspflicht an das oben erwähnte RZReg gilt für Rechenzentren ab 500 kW Nennanschlussleistung bereits ab diesem Jahr und es muss bereits bis 15.05.2024 an das Effizienzregister berichtet werden. Betreiber von Rechenzentren mit einer Nennanschlussleistung zwischen 300 und 500 kW müssen ihre Daten erstmals bis 01.07.2025 übermitteln.

Ist das Energiemonitoring bisher noch nicht in der Lage, die notwendigen Mess- und Kennwerte zu ermitteln, besteht erhöhter Handlungsbedarf, da z.B. der unter die Berichtspflicht fallende Kennwert PUE auf Basis von 12-monatigen Messwerten ermittelt wird.

Die frühzeitige Anpassung an die EnEfG-Vorschriften sichert zudem nicht nur die rechtliche Konformität, sondern ermöglicht auch langfristige Einsparungen und eine verbesserte Energieeffizienz. Dies stärkt die Wettbewerbsfähigkeit und trägt zum Umweltschutz bei.

Welches Vorgehen wird RZ-Betreibern zur Erfüllung der EnEfG-Anforderungen empfohlen?   

Martin Weber: Im ersten Schritt sollte untersucht werden, ob eigenbetriebene Rechenzentren aufgrund ihrer Nennanschlussleistung in den Geltungsbereich des EnEfG fallen.

Daraufhin ist im Rahmen einer Gap-Analyse zu prüfen, ob die im Gesetz definierten unterschiedlichen Anforderungen erfüllt werden. Ist dies nicht der Fall, sind Maßnahmen abzuleiten und daraufhin strukturiert umzusetzen, um vollständige Compliance mit dem Gesetz zu erreichen.

Zur Unterstützung dieses Prozesses wurde das Beratungsprodukt „EnEfG-Datacenter-Assessment“ entwickelt. Das Assessment hilft RZ-Betreibern, ihren aktuellen Status hinsichtlich des Energieeffizienzgesetzes zu bewerten, klärt über notwendige Schritte zur Erfüllung aller Anforderungen auf und benennt konkrete Maßnahmen zur Effizienzsteigerung und Kostenoptimierung.

Gibt es geplante Aktualisierungen oder Erweiterungen des EnEfG, auf die sich Rechenzentrumsbetreiber vorbereiten sollten, um auch in Zukunft konform und wettbewerbsfähig zu bleiben?

Martin Weber: Aktuell ist nicht absehbar, wann und in welcher Form das EnEfG überarbeitet wird und in welche Richtung sich die Anforderungen weiterentwickeln werden.

Die dynamische Natur des IT- und RZ-Sektors, die kontinuierliche Entwicklung der Technologien und die Notwendigkeit von Energieeinsparungen könnten zukünftige Anpassungen des Gesetzes erforderlich machen. Betreiber sollten daher einen proaktiven Ansatz verfolgen, regelmäßige Überprüfungen ihrer RZ-Strategie und -Anlagen durchführen und in energiesparende Technologien investieren, um langfristig konform und wettbewerbsfähig zu bleiben.