Wie Energien verpuffen und wer davon profitiert

von ZukunftsMacher Helmut Scheel

Das Verbrenner-Aus war längst beschlossen. Ab 2035 sollten in der Europäischen Union keine neuen Benziner und Diesel mehr zugelassen werden. Doch auf der Internationalen Automobilausstellung 2025 wird das Verbrenner-Aus erneut infrage gestellt. „Wir brauchen Technologieoffenheit“, erklärte Hildegard Müller (CDU), Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie, bereits im Februar 2025 gegenüber der Süddeutschen Zeitung. „Ein pauschales Verbot wäre ein schwerer Schlag für die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands.“

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Was dabei oft unausgesprochen bleibt: Die deutsche Automobilindustrie hat längst den Anschluss an den globalen Markt verloren. Im Jahr 2024 wurden in China 7,8 Millionen Elektroautos verkauft, mehr als in ganz Europa. Während andere Länder die Zukunft gestalten, verharren wir in einer Endlosschleife aus Debatten, Ausnahmeregelungen und Rückzugsgefechten.

Wir verbrennen unsere Zukunft

Das eigentliche Problem liegt nicht in der Technologie selbst, sondern darin, dass unsere soziale Energie in ergebnislosen Diskussionen verpufft. Jede Verzögerung und jeder Kompromiss kosten uns nicht nur Zeit, sondern auch Vertrauen in unsere Gestaltungsfähigkeit. Wir verbrennen nicht nur Benzin, wir verbrennen unsere Zukunft.

Die Gaskraftwerk-Lüge: Energieumlenkung zu den Konzernen

Auch in der Energiepolitik wiederholt sich dieses Muster. Wirtschaftsministerin Katharina Reiche, zuvor Managerin bei E.ON, setzt auf neue Gaskraftwerke, obwohl der Ukraine-Krieg die Risiken einer fossilen Abhängigkeit deutlich gemacht hat. „Wir brauchen Gaskraftwerke als Brückentechnologie“, betonte Reiche im März 2025 im Handelsblatt. Doch diese Brücke führt zurück in die Vergangenheit.

Statt konsequent auf dezentrale erneuerbare Energien zu setzen, die Kommunen und Bürger*innen selbstbestimmt stärken, werden erneut zentrale Strukturen etabliert. Strukturen, die vor allem den großen Energiekonzernen nützen. Dies erinnert an den sogenannten Altmaier-Knick, als der damalige Wirtschaftsminister den Ausbau erneuerbarer Energien ausbremste. Heute erleben wir den Reiche-Knick. Kurzfristige Konzernlogik siegt erneut über das langfristige Gemeinwohl.

Das Ergebnis: Gestaltungskraft wird umgeleitet. Vertrauen schwindet, weil Beschlüsse gebrochen und Zukunftschancen vertagt werden.

Soziale Energie versus Geld

Die Philosophin Rahel Jaeggi beschreibt in ihrem Buch „Fortschritt und Regression“ ein strukturelles Problem moderner Gesellschaften: „Fortschritt wird nicht blockiert, weil wir keine Lösungen hätten, sondern weil wir uns weigern, sie umzusetzen.“ Genau dies erleben wir bei den Debatten um das Verbrenner-Aus und den Ausbau erneuerbarer Energien. Unsere soziale Energie, die lebendige Kraft, die entsteht, wenn Menschen miteinander handeln, Vertrauen bilden und Zukunft gestalten, wird systematisch abgeleitet und in monetäre Kanäle umgewandelt.

Selbstwirksamkeit im gemeinschaftlichen Handeln 

Wie Jaeggi zeigt, blockiert gesellschaftliche Regression Veränderung durch systematische Verzögerung. Der Soziologe Hartmut Rosa ergänzt, dass dort, wo soziale Energie wirksam wird, Resonanzräume entstehen: Menschen erleben Selbstwirksamkeit im gemeinschaftlichen Handeln. Wird soziale Energie ausgehöhlt und in Geldströme umgeleitet, kippt Resonanz in Entfremdung. Energie, die in lokalen Nachbarschaften, Genossenschaften oder Bürgerinitiativen wirken könnte, konzentriert sich als Gewinn in den Bilanzen weniger Konzerne.

So verpufft soziale Energie in endlosen Debatten, während reale finanzielle Energie bei wenigen Akteuren akkumuliert. Die entscheidende Frage lautet nicht, ob wir die Zukunft gestalten können, sondern wer davon profitiert, wenn wir es nicht tun.

Orte der Wirksamkeit

Es gibt jedoch bereits Gegenbeispiele. Orte, an denen Energie nicht in Debatten verloren geht, sondern in Handeln übergeht. Wo Gemeinschaften stärker wirken als Systeme. Wo Bürger*innen Energiegenossenschaften gründen, solidarische Landwirtschaft betreiben oder Klimaschutzprojekte voranbringen. Hier fließt soziale Energie frei, unbegrenzt von den Zwängen einer reinen Monetarisierung.