Zukunftskunst: Transformation kreativ und experimentell gestalten
Prof. Schneidewind in einem Gespräch mit Elita Wiegand über sein Buch: „Die Große Transformation“
Sie sind Mitglied des Club of Rome. Das Buch „Grenzen des Wachstums“ ist 1972 erschienen. Doch der Warnruf ist verhallt. Woran liegt das?
Uwe Schneidewind: Es ist jetzt knapp 50 Jahre her, dass uns der Club of Rome mit dem Buch „Grenzen des Wachstums“ für die ökologischen Belastungen sensibilisiert hat und damals schon appellierte, dass wir Wirtschaft und Gesellschaft radikal verändern müssen, um auch langfristig gutes Leben auf diesem Planten zu ermöglichen. Trotz der Warnung hat sich die Situation nicht etwa verbessert, sondern dramatisch verschlimmert. Woran liegt das? Naturwissenschaftliches Klimawissen alleine reicht nicht, um Veränderungen anzustoßen. Zu oft wurden die Erkenntnisse einfach nur über den Zaun zur Politik und in die Gesellschaft geworfen mit der Haltung. „Guckt mal hier, die Welt geht zugrunde, die Ressourcen sind irgendwann zu Ende, die Klimakatastrophe droht, jetzt handelt endlich!“ Das ist ein sehr rationalistisch und sehr moralisch wirkender Zugang. Je weniger passierte, desto größer wurde dann auch die Verbitterung vieler Vordenker und Naturwissenschaftler. Die Stimmen wurden lauter und dramatischer. Doch der Katastrophismus lähmt uns eher statt uns zu mobilisieren.
Die Appelle haben nichts bewirkt, aber wie funktionieren Veränderungen, wie kann die Beharrung überwunden werden und wann ist man bereit, zu handeln?
Uwe Schneidewind: Wir machen in unserem Buch darauf aufmerksam, dass wir in Transformationsprozessen häufig noch Analphabeten sind. Veränderung funktioniert nicht, indem wir ständig erklären, dass alles schlimm ist und wir anders handeln müssten. An die Seite des naturwissenschaftlichen Klimawissens muss Transformationswissen treten, das auf die Erkenntnisse der Psychologie, Sozialwissenschaft, Ökonomie, Geisteswissenschaften und Kulturwissenschaften einbezieht, um die Mechanismen von Veränderungsprozessen zu verstehen und diese auf den Weg zu bringen. Lasst uns von dem oft vereinzelten und isolierten disziplinären Wissenschaftsbetrieb wieder zur einer Wissenschaft kommen, die integrativer ist. Denn ich verändere nur etwas, wenn Veränderung wieder ein kreatives, experimentelles, lustvolles Projekt wird.
Kreative und experimentelle Projekte wie zum Beispiel Reallabore machen also Lust auf Veränderungen und Sie befeuern die Große Transformation mit dem Begriff Zukunftskunst, einer Kompetenz, die wir lernen müssen
Uwe Schneidewind: Hinter dem Begriff „Zukunftskunst“ verbirgt sich eine Haltung, ein Zugang zum Umgang mit großen Herausforderungen, der in uns Kräfte mobilisiert. Der Begriff als Haltung bedeutet, eine Welt zu gestalten, in der zehn Milliarden Menschen die Chance haben, ihre Lebensentwürfe zu entwickeln. Das ist ein faszinierendes, zivilisatorisches Projekt und ist mit vielen Herausforderungen verbunden. Aber es ist die Haltung ein Teil des Gestaltungsprozesses zu sein und sich mit kreativen Ideen einzulassen. Dazu können wir eine Kultur der Gestaltungslust und des Experimentierens entwickeln, um die Aufgabe anzugehen. Zukunftskunst steht auch für eine erweitere Perspektive, weil er deutlich macht, dass wir die Zukunftsgestaltung in einer neuen kreativen Form angehen und kluge technologische, ökonomische und politische Steuerung miteinander verbinden. Dazu ist es notwendig auch an kulturelle Dynamiken anzuknüpfen. Gerade das Zusammenspiel verschiedener Dimensionen beherrschen Künstler oft sehr viel besser. Sie lassen sich von Komplexität inspirieren und bringen es in eine Form, in einem Begriff, in einen Ton. Auch dafür steht die Zukunftskunst.
In der Digitalisierung sehen viele einen Treiber für die Große Transformation. Sie aber sagen, dass technologische Innovationen nicht reichen, um im 21. Jahrhundert zehn Milliarden Menschen ein gutes Leben zu ermöglichen. Worin sind die Zweifel begründet?
Uwe Schneidewind: Wir merken derzeit intensiv, was uns die Digitalisierung beschert. Technologie alleine, eingebracht in einem globalen, kapitalistischen Verwertungsmodus führt dazu, dass Digitalisierung nicht ihre Potentiale für einen umfassenden sozialen und ökologischen Wandel entfaltet. Im Gegenteil. Unter den aktuellen Rahmenbedingungen entsteht ein Plattform-Kapitalismus, die Konzentration von Kapital in der Hand von wenigen Konzernen. In autoritären Staaten befördert die Digitalisierung die Entstehung eines Überwachungsstaates. Man merkt, dass Technologie ein vielfältiges Gesicht hat. Nur wenn ich eine Idee davon habe, wie die Gesellschaft der Zukunft aussehen soll und an den politischen und ökonomischen Bedingungen arbeite, die diese Form einer wünschenswerten Zukunft unterstützen, nur dann wird Technologe ihre eigentliche Kraft für eine bessere Zukunft entfalten. Wenn aber die Grundidee von einer wünschenswerten Zukunft nicht da ist, kann sie eine desaströse Wirkung haben.
Mit der Bündelung von Macht der Großkonzerne, geht die Kapitalismuskritik einher. Wie sieht der moderne, globale Kapitalismus aus, der „Great Mindshift“, den Maja Göpel mit sieben Schlüsselprinzipien beschrieben hat?
Uwe Schneidewind: Für uns ist wichtig, dass wir die Diskussion zur Zukunft des Kapitalismus offensiver führen, weil jedem klar wird, dass dieses System in der jetzigen Form oft nicht mehr funktioniert.. Dennoch traut sich keiner politisch an das Thema heran. Das Wuppertal Institut ist einer der führenden Think Tanks im Bereich Nachhaltigkeit und deshalb haben wir der Kapitalismuskritik in dem Buch viel Raum eingeräumt. Wir machen deutlich, wie die Idee einer „doppelten Entkoppelung“ als Kernansatz einer nachhaltigen Entwicklung durch die Dynamiken des modernen Kapitalismus beeinträchtigt wird. Hinter der „doppelten Entkopplung“ steckt die Idee, dass man gutes Leben vom Naturverbrauch sehr stark entkoppeln kann: Dafür braucht es einmal Maßnahmen, die unsere Produkte effizienter machen (Entkopplung erster Ordnung). Zur Entkoppelung gehört auch, dass wir steigende Lebensqualität von weiterem materiellen Wachstum entkoppeln, also von einer weiteren Steigerung des Bruttosozialproduktes („Entkopplung 2. Ordnung“). Viele Studien und Konzepte beispielsweise der OECD weisen darauf hin, dass zum Beispiel die Art, wie wir Bildung organisieren, Gesundheit, oder Sicherheit weitgehend unabhängig von der absoluten Höhe des Pro-Kopf-Bruttosozialproduktes sind. Es geht vielmehr um eine intelligente, politische Gestaltung, die bei einem gleichen Bruttosozialprodukte eine zum Teil höhere Lebensqualität erzeugen kann.
Wenn man diese Grundidee der doppelten Entkoppelung nimmt, dann merkt man, wie Dynamiken des modernen Kapitalismus diese Entkopplungsprozesse oft behindern: Börsennotierte Ölkonzerne müssen ihre Ölressourcen aus der Tiefsee verwerten, weil die verantwortlichen Manager sonst vor der Entlassung stehen, weil sie das Kapital ihrer „Shareholder“ vernichten. Solange sich SUVs hervorragend auf den Automobilmärkten der Zukunft verkaufen und die Konzerne pro Auto bis zu 15.000 Euro verdienen, ist der Druck gewaltig, genauso solche Produkte weiter herzustellen. Um die Zukunft zu meistern, brauchten wir jedoch einen Wohlstand, der mit einem geringeren Bruttosozialprodukt auskommt. Die weitgehende Kommerzialisierung unserer Lebenswelt wirkt tief unsere psychologischen Mechanismen hinein. Wir verinnerlichen die Anpassungs- und Beschleunigungslogiken des Wirtschaftssystems, so dass es zum Teil gar nicht mehr möglich ist, intensiv zu erfahren, was Lebensqualität eigentlich bedeutet.
Sie beziehen sich auch auf den Film und das Buch von Al Gore „Die unbequeme Wahrheit“ und erweitern die Fakten mit der heutigen Nachhaltigkeitsdebatte. Welche unbequemen Wahrheiten verleugnen wir?
Uwe Schneidewind: Wir wollen in unserem Buch deutlich machen, dass die unbequemen Wahrheiten heute noch sehr viel weitergehen. Wenn Rohstoffe knapper werden, steigen die Preise und der Markt regelt sich über Preissteigerungen. Da hilft Ökonomie beim Ressourcenschutz. Schlimmer aber sind zum Beispiel die Abholzungen der Regenwälder. Es gibt keine automatische Preissteigerung, wenn kein Regenwald mehr da ist, sondern er verschwindet einfach mit den dramatischen Folgen für den Klimawandel. Das heißt, wir müssen politisch handeln und das auf einer globalen Ebene. Das ist mit gewaltigen Kooperationsherausforderungen verbunden. Wie groß die sind, merken wir an den internationalen Klimaverhandlungen, aus denen Staaten wie die USA aussteigen und die Rettung des Klimas den anderen überlassen.. Die Schwierigkeit der politischen Abkommen verdeutlichen, dass die Herausforderungen immens sind und viele unbequeme Wahrheiten neben dem Klimawandel selbst umfassen.
Ihr Buch ist von einem Optimismus getragen, weil sie davon ausgehen, dass eine bessere Zukunft möglich ist. Sie beziehen die verschiedenen Akteure ein und ermuntern zu einer Selbst-Transformation. Welche Rolle spielen die Akteure?
Uwe Schneidewind: Wir gehen in dem Buch auf die unterschiedlichen Akteursgruppen ein. Zum Teil haben wir heute noch naive Vorstellungen von der Rolle einzelner Akteure. Wir halten gerade die nationale Politik für hoch wirkmächtig, obwohl sie viel Gestaltungsmacht verloren hat. Wir laden aber auch den Verbrauchern viel auf, weil wir meinen, wenn wir nur alle ökologischen Produkte kaufen, würden wir die Umweltherausforderungen in den Griff bekommen. Damit sind aber die meisten Verbraucherinnen und Verbraucher in ihren konkreten Lebenssituationen überfordert. Es braucht deswegen eine Politik, die „gutes und ökologisches Leben einfacher macht“. Damit eine solche Politik eine Chance auf Durchsetzung hat, sind Umweltschutzorganisation, Initiativen und andere Nicht-Regierungsorganisationen so wichtig, weil sie die moralischen Ressourcen für eine engagierte Politik schaffen. Die Wissenschaft hätte die Aufgabe vielmehr vorzudenken, wie andere Zukünfte aussehen können. Wir brauchen eine „Möglichkeitswissenschaft“, weil die es erst ermöglicht der Politik alternative Vorschläge und Grundlagen für Debatten zu liefern. Gerade große Unternehmen sind heute in vielen Bereichen zu quasi politischen Akteuren geworden und müssen diese Rolle verantwortungsvoll wahrnehmen. Die Bundesregierung wird oft so wahrgenommen, als richte sie ihre Politik nach den großen Energiekonzernen und der Automobilindustrie aus. In einem solchen System sind Unternehmen und Branchen quasi politische Akteure und sie sind eben auch gefordert sich dafür einzusetzen, dass sich die Randbedingungen weiterentwickeln, dass gutes unternehmerisches Engagement, das nachhaltigen Prinzipien folgt, mit ökonomischen Erfolg vereinbar ist. Diese politische Rolle lehnen Unternehmen offiziell häufig ab, sind aber immer als erste dabei, wenn es um das Lobbying der eigenen kurzfristigen Interessen geht. Es geht darum, ihre politische Bedeutung auch dann nicht zu verleugnen, wenn es ansteht, die richtigen Randbedingungen für eine nachhaltige Entwicklung zu schaffen. Solche Rahmenbedingungen würden es für Konsumenten leichter machen, ein gutes und ökologisch verantwortungsvolles Leben zu führen. Wir können von den Konsumenten, auch von sozial Schwächeren nicht verlangen, dass bei ihnen alleine die Weltrettung liegt. Das wäre ein billiges Freisprechen von der Verantwortung, die eigentlich in dem Zusammenspiel von Politik, Gesellschaft und Wissenschaft liegt.
Was ist Ihr Ziel mit dem Buch „Die Große Transformation“?
Uwe Schneidewind: Wir wollen mit dem Buch Debatten über ein aufgeklärteres Transformationsverständnis anstoßen. Und wir möchten die heute schon in Zivilgesellschaft, Politik und Unternehmen aktiven Zukunftskünstler motivieren, sich weiter mit Elan und Experimenten für eine Nachhaltige Welt einzusetzen.
Fotos: Wuppertal Institut/A. Riesenweber