Ein radikaler Wandel in der Stadt beginnt über kleine Schritte an vielen Orten

Nachhaltigkeit fängt in der der Kommune an

von Elita Wiegand

Der Wandel einer Gesellschaft manifestiert sich im Zukunftsraum Stadt und „Nachhaltigkeit fängt in der Kommune an.“ So lautete der Titel einer Onlinekonferenz der Heinrich-Böll-Stiftung NRW. Dass die große Transformation im Kleinen beginnt und daraus große Bewegungen entstehen, verdeutlichte Prof. Dr. Uwe Schneidewind, Oberbürgermeister von Wuppertal und einst Präsident des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt und Energie. Was muss sich ändern, um das Ziel für gute Leben für alle Menschen zu erreichen? Welche Methoden und Talente braucht es, um den Wandel voranzutreiben?

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In allen Gesellschaften sind Städte seit jeher Orte der kulturellen und sozialer Innovation. In den letzten Jahrzehnten hat sich das Verständnis von Veränderungsprozessen jedoch massiv verändert. Früher lag die Transformation in den Händen der national und internationalen Mächtigen, die an den Schalthebeln saßen, um Veränderungen auszulösen.

Das Neue erlebbar machen

Doch heute zeigt die Transformationsforschung, dass sich ein radikaler Wandel über kleine Schritte an vielen Orten vollzieht, über Initiativen und „Changemaker“, über Reallabore und Experimentierorte. Der Wandel braucht Katalysatoren, in denen das Neue erlebbar wird. Sie sind Teil der instrumentellen Veränderungen: Zivilgesellschaftliche Initiativen, „Makerspaces“ „Urban Gardening“, Projekte für andere Formen des Wohnens und des sozialen Miteinanders. Das Ziel: Eine Sharing-City. Sie sind Teil der großen Veränderung und einer umfassenden Nachhaltigkeitstransformation, eine Blaupause, damit alle Menschen die Chance haben, würdevoll zu leben. Nachhaltige Entwicklung auf einer kommunalen Ebene bedeutet, dass wir uns nach dem Leitbild der gemeinwohlorientierten Stadt ausrichten und für alle Bürger*innen Zugänge zur Bildung schaffen, mehr Stadtgrün, eine gute Gesundheitsversorgung oder Erholungsräume gehören dazu. „Wir müssen möglichst viele Orte des Gelingens schaffen, es für alle erlebbar und zugänglich machen“, so Uwe Schneidewind. Die kommunalen Bewegungen seien stark, weil sie zunehmend national und international vernetzt seien, sich gegenseitig inspirieren und dadurch Verstärkungseffekte erzielen.

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Leitbild Leipzig Charta

Exemplarisch steht dafür das neue Leitbild der Leipzig Charta für die Stadtentwicklung in Europa. „Die Leipzig Charta zeichnet das Bild einer gemeinwohlorientierten Kommune“, sagte Uwe Schneidewind. Das sei revolutionär, weil bisher die Städte auf klassischen Wachstumsmodellen ausgelegt waren. Die Folgen sind weitreichend: Verödete Innenstädte, mit sterilen Bürozentren, austauschbare Fußgängerzonen und Shopping-Center, hocheffizient mit Mobilität vernetzt, galten Städte als Umschlagplatz des Ökonomischen. 

In seinem Buch „Die Große Transformation“ hat Uwe Schneidewind vier Schlüsselelemente für Veränderungsprozesse in der Stadt beschrieben.

1. Vision

Urbane Prozesse brauchen Bilder möglicher Zukünfte – Visionen sind Motivation für engagierte Akteure. Es gilt ein emotionales Ziel zu kommunizieren, ein Bild für die Zukunft zu malen und positive Geschichten von dem guten Leben für alle zu erzählen. Ausgangspunkt für Veränderungen  ist immer auch eine Haltung – und ihr muss eine Vision zugrunde liegen. Visionäre*innen tragen viel zu einer gesunden und vitalen Zivilisation im 21. Jahrhundert bei. 

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Klimaneutralität

Die Stadt Wuppertal hat sich zum Ziel gesetzt, die Klimaneutralität bis 2035 zu erreichen. „Es handelt sich um einen Kraftakt, wie er in dieser Form noch nie bewältigt wurde. Entsprechend kann er nur gelingen, wenn alle relevanten Akteure in der Stadt an einem Strang ziehen. Und wenn andere Ebenen – ob Bund, Land oder EU – ihren Teil beitragen. Bürgerinnen und Bürger, große und kleine Unternehmen, Verwaltung und Zivilgesellschaft müssen in einer positiven Spirale nicht nur in ihren Bereichen optimieren, sondern sich gegenseitig antreiben“ heißt es in der Studie des Wuppertals Instituts.

„Wesentlich für die Umsetzung ist die Finanzierung“, berichtet der OB. Dafür müsse die Stadt rund 500 Millionen Euro jährlich investieren. Es sei erforderlich Weichen für die Finanzierung zu stellen, beispielsweise über private Investoren oder Förderungen durch das Land und den Bund. „Die Vision gibt uns einen Kompass und bildet auch die Grundlage für Verhandlungen“, betonte Uwe Schneidewind.

Dass eine Vision eine zentrale Bedeutung hat, zeigt auch das Beispiel der 15-Minuten-Stadt in Paris. Die Formel von Bürgermeisterin Anne Hidalgo ist griffig, zeigt eine neue Form der Stadt, samt einer Mobitätswende und ist für jeden Bürger*in messbar. Es sei eine Leitorientierung, die am Anfang von Veränderungsprozessen steht.

2. Eigenart

Die nachhaltige Stadt der Zukunft, im Sinne der Leipzig Charta, muss eine gesellschaftliche und politische Teilhabe ermöglichen. Doch es sei auch wichtig, die Eigenart zu berücksichtigen, denn jeder Stadt sei anders. Ob ihre Geschichte, Persönlichkeiten, Kultur, Gebäude oder Mentalität: Viele Faktoren schaffen die Möglichkeit, dass das gemeinsame Ziel einer nachhaltigen Entwicklung immer mit Dingen aufgeladen werden, die ein besonderes Identifizierungspotential beinhalten.

In Wuppertal wurde gerade mit große Mehrheit im Rat entschieden, sich für die Bundesgartenschau 2031 zu bewerben. Dazu hat die Stadt einen Prozess aufgesetzt: In zehn Jahren werden etwa zehn Millionen Menschen nach Wuppertal kommen. „Wir schaffen dafür eine Bühne, um alle Transformationsprozesse unter dem Dach zu integrieren“, so Uwe Schneidewind. Zudem eröffnet die BUGA 2031 als „Schaufenster“ eine große Möglichkeit an Fördermöglichkeiten für viele Entwicklungsprojekte in den Bereichen Mobilität, Klima und Kreislaufwirtschaft, die in den kommenden Jahren auf der Agenda der Stadt stehen. Das wird eine BUGA ohne einen einzigen zusätzlichen Parkplatz, denn wir haben jetzt die Kulisse, um in den nächsten zehn Jahren die Mobilitätswendevoranzutreiben“, betonte Uwe Schneidewind. Die Stadt will die BUGA nicht nur als Naturerlebnis sehen, vielmehr will man auch Kulturprojekte vorstellen, ein Crossover zwischen Bundesgartenschau und Dokumenta schaffen. Ziel ist es, die kreativen Kräfte der Stadt einzubinden.

3. Unkonventionelle Bündnisse

Für einen Veränderungsprozess zu einer gemeinwohlorientierten Stadt ist es wichtig Brücken zu bauen. Dabei geht es darum die vielen Interessengemeinschaften und Organisation in der Stadt zu verbinden. Das beginnt bei der freiwilligen Feuerwehr bis zum Kleingartenverein. Wichtige gemeinwohlorientierte Gemeinschaften wie die Kirchen, aber auch die Sparkassen, Stadtwerke oder öffentliche Betriebe gilt es vernetzen und einzubinden. Dazu gehören aber auch gemeinwohlorientierte Unternehmen. Unkonventionelle Bündnisse sind die Motoren für Veränderungen in der Stadt.

4. Experimente

Für Veränderungen braucht es den Mut zu experimentieren, neue Dinge auszuprobieren und auch aus dem Scheitern zu lernen. Eine nachhaltige Gesellschaft, eine neue Stadt kann man nicht am Schreibtisch erfinden, sondern dadurch, dass wir uns auszuprobieren. Wir brauchen auch eine Experimentierkultur in der Verwaltung. Das Experimentieren ist ein Baustein für den radikalen Wandel. „Wenn an vielen Stellen Neues ausprobiert wird und das ein Teil der urbanen Kultur wird, dann ändert sich auch im Großen etwas.“

Fotos: Uwe Schneidewind, Wuppertal Institut,  Nationale Stadtentwicklung

Das Buch

Buch Uwe Schneidewind: Ein radikaler Wandel in der Stadt beginnt über kleine Schritte an vielen Orten
Die Große Transformation
Eine Einführung in die Kunst gesellschaftlichen Wandels