Neustart für Unternehmen: Mit nachhaltigen Geschäftsmodellen in die Zukunft

Elita Wiegand sprach mit Prof. Dr. Lutz Becker, Studiendekan Sustainable Marketing & Leadership und und Leiter der Business School für Wirtschaft & Medien an der Hochschule Fresenius in Köln.

Lutz-Becker-scaled Neustart für Unternehmen: Mit nachhaltigen Geschäftsmodellen in die Zukunft

Nachhaltigkeit ist in Zeiten des Klimawandels ein Gebot der Stunde. Doch viele Unternehmen streben nach wie vor nach einer Gewinnmaximierung und vernachlässigen sträflich ihre gesellschaftliche Funktion. Die Lösung siehst Du in einem „milden Kapitalismus“. Was verbirgt sich dahinter? 

Prof. Lutz Becker: Wir müssen uns die Frage stellen, ob Wirtschaft immer nur Gewinnmaximierung bedeutet. In einem Artikel in der New York Times von 1970 schrieb der amerikanische Ökonom Milton Friedman, dass die einzige soziale Verantwortung der Unternehmen darin bestehe, Gewinne zu steigern „The business of business is business“, sagte er. Doch Unternehmen haben eine gesellschaftliche Funktion. Die Orientierung auf den schnellen Gewinn mindert die Innovationsbereitschaft und führt letztendlich dazu, dass zu lange an Geschäftsmodellen festgehalten wird, die sich längst überholt haben. Heute müssen Unternehmen nachweisen, dass sie zur Lösung der drängendsten Probleme wie den Klimawandel in unserer Gesellschaft beitragen. Wie stellen sich Unternehmern den Anforderungen des Anthropozäns und wie passen sie die Märkte an die neuen klimatischen Bedingungen an? Ich plädiere ich für eine sozial-ökologische Marktwirtschaft und spreche von einem milden Kapitalismus. Daran knüpft sich die Frage: Wie schaffen wir die ökonomischen Bedingungen, die das gute Leben der Vielen fördern? „Es geht darum eine Welt zu gestalten, der andere gerne angehören wollen.“ Das sagte einmal ein Kollege von der Hochschule Fresenius in München und das teile ich. 

Wir müssen uns an neue klimatische Bedingungen anpassen. Was ist konkret zu tun?

Prof. Lutz Becker: Bei vielen Unternehmen herrscht eine Binnenperspektive, das heißt, dass sie nicht über den Tellerrand hinausblicken, weil das Verständnis für das Große und Ganze fehlt. Der Nationalökonom Joseph Alois Schumpeter hat zwei Unternehmertypen herauskristallisiert: Den kreativen Unternehmer und den Wirtsunternehmer. Wirtsunternehmer deshalb, weil sie nach bestimmten Regeln handeln: Ich bestelle zwei Bier, der Wirt gibt mir zwei Bier, der Kunde will das so. Viele Unternehmen suchen Stabilität und manifestieren Planbarkeit. Der kreative, zerstörerische Unternehmer bildet indes die Ausnahme. Das Neue aber ermöglicht eine sprunghafte, radikale und dynamische Entwicklung. Wenn ich als Unternehmer Nachhaltigkeit auf dem Radar habe, entwickle ich auch neue Geschäftsmodelle.  

Ich stelle mir eine Marktwirtschaft vor, die sich sozial-ökologisch einen Rahmen durch Regulatorik steckt. Ohne staatliche Eingriffe hätten wir heute kein iPhone, kein Flugverkehr oder Straßen. Doch Unternehmer und Staat müssen sich aufeinander einschwingen. Ich muss den Rahmen geben, in dem sie sich die Wirtschaftsakteure möglichst frei bewegen können. Ein Markt mit vielen unterschiedlichen Akteuren ist in der Lage gangbare Lösungen und Resilienz zu erzeugen. 

Fakt ist aber auch, dass Unternehmen die Notwendigkeit einer Umkehr erkennen. Trotzdem tun sie sich schwer die ersten Schritte einzuläuten. Wo liegen die Hürden? 

Prof. Lutz Becker: Ich erlebe in vielen Unternehmen, dass sie sich nachhaltiger aufstellen wollen. Doch oft fehlen dazu die Kapazitäten, das Personal und auch eine Strategie und so bleibt es bei einem Lippenbekenntnis. Auch da hilft die Regulatorik. Zum Beispiel das Kreislaufwirtschaftsgesetz. Es trat 2012 in Kraft und ist ein Gesetz zur Förderung der Kreislaufwirtschaft und Sicherung der umweltverträglichen Bewirtschaftung von Abfällen. Natürlich gab es gegen das Gesetz Widerstände. Doch inzwischen erkennen viele Unternehmen, dass es Sinn macht Materialen wieder zu verwerten, weil sie auch jede Menge Geld sparen. Auch wenn wir über Business Development, also die Entwicklung neuer Geschäftsfelder sprechen, ist Nachhaltigkeit mehr Chance als Risiko. Auch wenn wir an das Ende der jetzigen Krise denken, wird nochmal der Spreu vom Weizen getrennt. Die Zeichen stehen mehr denn je auf einen Green New Deal. Wenn die Karten jetzt neu gemischt werden, werden die, die die innovativeren und nachhaltigeren Lösungen vorweisen können, einfach besser aus den Startblöcken kommen. 

Nun sind die Verbraucher kritischer und der Druck erhöht sich, nachhaltiger zu produzieren und Werte einzuhalten. Konzerne geben gerne die Verantwortung ab und schieben alles dem Lieferanten zu. Wie kann man den gefährlichen Kreislauf und die Preis-Abwärtsspirale für die mittelständischen Lieferanten stoppen?

Prof. Lutz Becker: Unternehmen sind in einer Art Sandwichposition. Von unten erleben sie den Druck der Konsumenten. Von oben kommen staatliche Regulierungen – die Unternehmen müssen reagieren. Den großen Tanker wie Lidl, Aldi oder Rewe ist es am Ende völlig egal, wie ihre Lieferanten nachhaltiger werden, und sie können diesen Druck recht einfach an die Erzeuger weitergeben. Die Erzeuger von Agrarprodukten sind in den Handelsketten oft das letzte Glied in der schwächsten Position und ihnen droht, dass sie ausgelistet werden, wenn sie nicht nachhaltiger produzieren. Nicht nur die Krise zeigt, dass wir derzeit eine existenzielle Bedrohung des Mittelstands erleben. Wir haben es mit strukturellen Herausforderungen zu tun. Wir unterstützen Unternehmen dabei, neue Business-Modelle zu entwickeln und innovative strategische Prozesse anzustoßen und das ist auch das, was unsere Studierenden lernen und weitergeben.  

Du begleitest jungen Menschen ein Stück weit in die nachhaltige Zukunft und sprichst von einer Weltverbesserungekompetenz. Wie sieht es mit der Motivation bei den Studierenden aus? 

Prof. Lutz Becker: Ich glaube, dass die so genannten Generationen Y und Z viel besser sind als ihr Ruf, obwohl – oder gerade weil – sie gewisse Ansprüche stellen und sinnvolle Tätigkeiten ausüben wollen. Doch es gibt viele Unternehmen, die sich bislang darauf nicht ausgerichtet haben und sie kommen mit den Vorstellungen der jungen Menschen nicht klar. Weltverbesserungskompetenz, um einen Begriff des Didaktikers Jean-Pol Martin zu verwenden, ist eine Kombination aus einer Problemlösungskompetenz, der Fähigkeit zum Perspektivenwechsel, um die Herausforderungen immer mal unter einem anderen Blickwinkel zu betrachten, und einem Möglichkeitsdenken. Das korreliert mit dem, was Reinhard Pfriem und sein Schüler Uwe Schneidewind Möglichkeitswissenschaft nennen. Das beinhaltet Fragen wie: Was kann man anders machen? Was kann man besser machen? Ich denke jedenfalls, dass ich dann erfolgreich gewesen bin, wenn meine Studenten in der Lage sind, ihre kleine Welt ein wenig zu verbessern.

Über Lutz Becker

Prof. Lutz Becker ist ein deutscher Wirtschaftswissenschaftler. Er ist seit 2014 Studiendekan Sustainable Marketing & Leadership und zudem seit 2016 Leiter der Business School für Wirtschaft & Medien an der Hochschule Fresenius in Köln.

Seine Forschungsschwerpunkte liegen insbesondere auf den Themen Transformationsforschung, Strategische Führung, Innovation sowie Nachhaltiges Business Development. Dazu führte er verschiedene Forschungsprojekte durch. Aktuell beschäftigt er sich mit Forschungsprojekten zu den Themen „Nachhaltiges Business Development Management“, „Klimaanpassungsstrategien und lernende Organisationen“ sowie „Next Economy“.