Obst und Gemüse unter einem Dach
Elita Wiegand von den ZukunftsMachern interviewte Volkmar Keuter, Fraunhofer UMSICHT, Oberhausen

Wie ernähren wir zukünftig etwa zehn Milliarden Menschen? Die Versorgung mit regionalen Nahrungsmitteln ist eine enorme Herausforderung. Deshalb sind neue Konzepte gefragt.

Vor kurzem wurde auf dem Dach des Jobcenters in Oberhausen eine Stadtfarm eröffnet. Das inFARMING®-Konzept des Fraunhofer Umsicht ist in dieser Form einzigartig in Deutschland. In drei verschiedenen Klimazonen werden zukünftig Obst, Gemüse und Co. angebaut, in einer einzigen Klimazone wird geforscht.

Obst und Gemüse unter einem Dach

Von Elita Wiegand

Selten habe ich mich so gerne auf den Weg in das Unbekannte gemacht. Ich bin getrieben von einer Portion Neugier und der Freude mich auf die Zukunft einzulassen, einer Zukunft, die ich mir schon sehr lange wünsche. Hinter einer Gartentür verbirgt sich der mächtige Gebäudekomplex. Hier treffe ich den „Senkrechtstarter“ Volkmar Keuter. Er ist Abteilungsleiter für Photonik und Umwelt im Fraunhofer UMSICHT und er arbeitet an der Zukunft der Ernährung. Im Herbst 2019 wurde in Oberhausen ein Gewächshaus auf dem Dach des Jobcenters eröffnet. „Indoor Farming“  ist in Deutschland angekommen, auf 1.000 Quadratmetern wächst Gemüse und Obst mitten in der Stadt.

Unbenannt-1500x433 Vertical Farming: Obst und Gemüse unter einem Dach

„Die Erde ist eine Kugel und Tomaten kommen vom Dach!“

Die Überschrift trägt die inFarming® Broschüre, die mir Volkmar Keuter überreicht. Und schon sind wir mittendrin im Thema, denn das Fraunhofer UMSICHT  erforscht seit längerem, wie sich künftig Menschen in den Ballungszentren ernähren.

Singapur, New York oder die Niederlande setzen erfolgreich auf „Indoor Farming“, vertikale Stadtfarmen auf Dächern, leerstehenden Bürogebäuden oder Fabriken. „Allein in Deutschlands Städte eignen sich über 1.200 Millionen Quadratmeter Dachflächen zum Anbau von Obst und Gemüse,“ erklärt Volkmar Keuter. Um Pflanzen vertikal anzubauen, benötigt man keine Erde. Gemüse und Obst wachsen in Beeten, die eng übereinander hängen oder komplett vertikal angelegt werden. Im Vergleich zum Freiland kann der Ertrag pro Hektar Anbaufläche dadurch verhundertfacht werden. Viele Vorteile, die für die neue Form der urbanen Landwirtschaft sprechen: Keine Transportwege und damit weniger C02 Ausstoß. Das Gemüse ist frischer, wächst quasi vor der Haustür – und schmeckt besser. „Gemüse- oder Obstsorten, die wir heute im Supermarkt kaufen, sind auf Haltbarkeit für die langen Transportwege gezüchtet. Tomaten zu Beispiel haben eine dickere Haut und verlieren an Aroma. Wir möchten auch wieder Vielfalt zulassen und alte Sorten anbauen“, sagt er.

Effizient: Der Energiekreislauf

„Die „inFarming®“ Forscher haben aber nicht nur das Gewächshaus auf dem Dach im Blick, sondern „haben ein geschlossenes System entwickelt, um Energie zu sparen und die Aufbereitungssysteme effizienter zu gestalten“, berichtet Keuter. Der perfekte Kreislauf: Im Winter wird die Abluft der Büros zum Heizen des Gewächshauses genutzt, zugleich fördert die CO2-angereichtere Luft das Wachstum der Pflanzen. Oder aber: Das Grauwasser wird getrennt gesammelt und zu Betriebswasser aufbereitet, das innerhalb des Hauses zur Toilettenspülung sowie zu Forschungszwecken eingesetzt wird. Sogar Nährstoffe für die Pflanzen können aus Regen- und Abwasser herausgefiltert werden.

Es werde – Licht!   

Wichtiger Faktor für die Stadtfarmen: Das Licht! Die Sonne wird durch energieeffiziente und individuell modifizierbare LEDs ersetzt. „Wir haben ein LED System entwickelt, das maximale Erträge generiert und in vielen Untersuchungen nachgewiesen, dass sich die Qualität zum Beispiel von Mangold oder Basilikum über verschiedene Lichtfarben steigert.“ Jede Pflanze verhalte sich anders und so können die Forscher die Pflanzeninhaltstoffe gezielt beeinflussen, in dem sie die Lichtquellen variieren. Die Pflanzen wachsen und gedeihen bei etwa 22 Grad und 70 Prozent Luftfeuchtigkeit.
Für die Qualität ist gesorgt: „Wir arbeiten an Pflanzeninhaltsstoffen, die auch für die Gesundheit im Körper verantwortlich sind und erreichen damit eine enorme Qualitätssteigerung“, berichtet der Forscher.

Leuchtturmprojekt in Oberhausen

Regionale Produkte sind beliebter denn je. Oberhausen zeigt wie es geht auf begrenztem Raum Lebensmittel zu produzieren. Das erste inFarming Leuchtturmprojekt wurde im September 2019 am Altmarkt in Oberhausen auf dem Dach des Jobcenters eröffnet. Damit erhoffen sich die Stadtväter das Quartier neu zu beleben, sehen es als einen Anlaufpunkt für innovativen Städtebau und wollen Menschen wieder in die Innenstadt locken. So werden rund um die Stadtfarm verschiedene Schulungen und Weiterbildungen angeboten, wird ein kleines Cafè eröffnet und auf dem Wochenmarkt können Verbraucher direkt die Produkte von der Stadtfarm kaufen. Der Nebeneffekt: Der direkte Verkauf vom Dach stärkt das Vertrauen in die heimischen Produktion.

Frank-Rogner-scaled Vertical Farming: Obst und Gemüse unter einem Dach

Bald auch in anderen deutschen Städten?

Der „Altmarktgarten“ steht in rund zwanzig Metern Höhe und ist 900 Quadratmeter groß. Auf zwei Dritteln der Fläche reifen Salate, Kräuter und Erdbeeren. Auf den restlichen 300 Quadratmetern entwickelt das Fraunhofer UMSICHT beispielsweise neue Methoden der Wasseraufbereitung. Als ein Projekt des Städtebaus fördert der Bund die Stadtfarm mit 2,3 Millionen Euro. Das inFarming Projekt sorgt für Aufmerksamkeit, es gibt viele Anfragen, weil es eine Lösung für die wachsenden Städte beinhaltet und die Menschen mit frischen Lebensmitteln versorgt. Mehr davon!

Fotos:

Fraunhofer UMSICHT und Frank Rogner