Zukunft findet Stadt 

„Die Zukunft ist nicht mehr so, wie sie früher war.“ Das Zitat stammt von der amerikanischen Baseballlegende Yogi Berra. Tatsächlich können wir die Zukunft nicht voraussagen. Doch gerade durch die Covid-Pandemie zeigen sich in den Städten Trends, die sich jetzt beschleunigen und verstärken. Städte sind die Zukunft, statistisch gesehen heute mehr denn je. 1920 waren New York und London die größten Städte der Welt. Heute sind sie nicht einmal unter den Top 10 – überholt von Megastädten wie Delhi, Shanghai oder São Paulo. So befinden sich Städte in einem ständigen Entwicklungsstadium, die durch Technologien ständig verändern. 

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Blick zurück 

Der Große Brand von London im Jahre 1666 zerstörte ein Fünftel der Stadt, die meisten mittelalterlichen Bauten. Das Feuer machte etwa 100.000 Einwohner obdachlos, kostete aber nach offiziellen Zahlen nur wenige das Leben. Der Brand führt zu neuen Bauvorschriften, in denen Stein und Ziegel als einzige erlaubte Baumaterialien für neue Häuser die Feuergefahr eindämmen sollten. Am Ende des 19. Jahrhunderts entpuppten sich Kutschen in den Städten als Problem: Die Straßen waren voller Pferdemist – ein unerträglicher Gestand. Das Auto kam und das gilt heute als Herausforderung für zukunftsfähige Städte. Die Tuberkulose förderte die Green Park-Bewegung und steht als Wurzel der modernen Architektur mit ihrem Schwerpunkt auf Sonnenlicht und Außenraum. Und der große Smog von London im Jahr 1952 und seine Zahl der Todesopfer veranlassten den „Clean Air Act“ zu einer Umstellung von Kohle auf Gas.

Die Geschichte zeigt, dass wir immer vor der Zukunft stehen. Die letzte große Pandemie von 1918 bis 1920 glich der, die wir derzeit erleben: Verlassene Citys und leere Einkaufsstraßen, Masken und Quarantäne. Die Spanische Grippe läutete aber auch die soziale und kulturelle Revolution der 1920er Jahre ein und es wurde neue Räume geschaffen: Kaufhäuser, Kinos und Stadien.

Mobilität verändert sich 

In den letzten Jahren haben wir einen dramatischen Anstieg der Mobilität von Menschen, Gütern und Informationen erlebt, uns gleichzeitig mit den Folgen des Klimawandels auseinandergesetzt und der Energiewende konfrontiert. Die Transformation zeigt sich in saubereren elektrischen Antrieben, Fahrzeuge, die über Strom aufgeladen werden, aber auch demnächst mit selbstfahrenden Autos. Der Besitz eines Autos hat vor allem bei jungen Menschen keine Priorität: Sie favorisieren Mitfahrgelegenheiten und On-Demand-Dienste, nutzen das Fahrrad, Roller oder E-Bikes.

Zu den Mobilitätstrends gesellen sich neue Arbeitsmuster. Der traditionelle Arbeitsplatz wird überleben. Doch wir werden durch die Arbeit im Homeoffice flexibler und ausgewogener mit der Zeit umgehen.   

Grüne Städte 

Die kumulative Wirkung wird auch die Infrastruktur der Städte verändern, weil immer weniger Platz für Fahrzeuge benötigt wird. Wir können bereits die Auswirkungen in der Londoner Innenstadt sehen: Vorschläge für die Verbreiterung des Bürgersteigs und die Umstellung der Fahrspuren auf Radwege. An anderer Stelle wurden ganze Straßen für Restaurants mit Terrassen geöffnet. Auch die die saisonale Nutzung von Außenräumen wird verlängert.

Die Innenstädte haben das Potenzial, leiser, sauberer, sicherer, gesünder, freundlicher, begehbarer und fahrbarer zu sein und, wenn die Gelegenheit genutzt wird, umweltfreundlicher zu sein.

In den letzten zehn Jahren haben Projekte auf drei Kontinenten den Weg in die Zukunft gezeigt. In den USA schuf Bostons „Big Dig“ ein zwölf Hektar großes Herzstück mit Parks und Boulevards, indem eine Hochstraße in Tunneln vergraben wurde.

In Europa ist das Madrid Rio-Projekt auf ähnliche Weise „verschwunden“ und hat einen riesigen Stadtpark geschaffen.

Madrid-Rio-scaled Zukunft findet Stadt

Der Parque Madrid Río ist ein öffentlicher Landschaftspark in Madrid, direkt am Fluss Manzanares gelegen. Er zählt zu eines der anspruchsvollsten Begrünungsprojekte in Europa mit geschätzten Kosten von etwa vier Milliarden Euro.

Viele Städte wie zum Beispiel Paris setzen auf die 15 Minuten-Stadt, in der alle wichtigen Anlaufstellen für die BürgerInnen innerhalb von ca. 15 Minuten erreichbar sind. Das Ideal, leben, arbeiten, schlafen, einkaufen, essen gehen, unterhalten und unterhalten zu werden – mit all den Veranstaltungsorten, an denen so viele dieser Aktivitäten wie möglich zu Fuß erreichbar sind. Dazu gehört auch, dass die französische Hauptstadt 650 Kilometer Radwege plant.   

Die dicht besiedelten Städte haben keine höheren Infektionsraten verzeichnet: Das Problem sind jedoch dichte, beengte Wohnungen, ob in Städten oder Vororten. Bezahlbares Wohnen bleiben eine Herausforderung und sind untrennbar mit der Notlage von Obdachlosen verbunden.

Stadtfarmen wachsen

Sky-Greens-scaled Zukunft findet Stadt

Um Transportwege zu reduzieren und CO2 einzusparen, wird künftig verstärkt in Städten Gemüse und Obst angebaut. Der städtische Anbau von Gemüse unter Verwendung von Hydrokultur wird frische Lebensmittel liefern, die billiger und geschmackvoller sind, mit höheren Erträgen und einem Bruchteil des Verbrauchs von kostbarem Wasser – alles vor der Haustür der Stadt, einer neuen Version des Bauernmarktes. Ein veraltetes Parkhaus ist der ideale städtische Bauernhof.

Ganzheitliches Denken 

Auf der Suche nach einer sich selbst tragenden Stadt ist ein ganzheitliches Denken erforderlich, das über traditionelle Bürokratien hinweggeht (die Umwandlung von Abfall in Energie ist ein gutes Beispiel). Auf dem Weg zu mehr Autonomie müssen wir das traditionelle Stromnetz in Frage stellen, indem beispielsweise im vergangenen Sommer 2,5 Millionen Kalifornier ohne Strom waren.  

Der Wandel einer Gesellschaft manifestiert sich im Zukunftsraum Stadt. Hier gilt es innovative Lösungen zu entwickeln und zu erproben. Es geht auch darum die Gemeinschaft und das „Wir“ zu stärken. Bürgerinnen und Bürger wollen mitreden und sich einbringen, denn die Eigeninitiative der Bürger ist eine zentrale Ressource, aus der die Stadt der Zukunft schöpfen kann. Zukunftsfähige Ergebnisse beruhen auf globalen Maßnahmen in den Bereichen des Klimawandels, der Energieversorgung und der Mobilität.

Original: The Guardian, Norman Forster